Böse auf die böse Seite zwei

■ Konzert des neugegründeten Kammerensembles für Musik des 20. Jahrhunderts

Sie haben ein eigenes Studio und organisieren alle Auftritte in Eigenregie: die fünfzehn freischaffenden professionellen Musiker, die ein Hamburger Kammerensemble für Musik des 20. Jahrhunderts gegründet haben. Drahtzieher für das Projekt sind die Cellistin Erika Sehlbach und die beiden Schlagzeuger Claudio v. Hassel und Rüdiger Funk, die die umfangreiche Schlagzeugliteratur unserer Epoche nie genügend ausspielen durften.

Am Sonntag trat die Gruppe mit einem Konzert in der Gnadenkirche an die Öffentlichkeit.

Überzeugende Idee für dieses Debüt: die Zusammenarbeit mit der Gruppe Neue Musik im Austausch, ein Zusammenschluß von Komponisten um den Seminarkreis von Alfred Schnittke. Sechs Werke standen auf dem Programm, vier davon Uraufführungen.

Der „große Wurf“ im Sinne einer neuen Formsprache blieb bei allen Stücken aus. Doch wer sich von dieser Erwartung freimachte, der konnte gelungenen Nuancen und kleinen Entdeckungen beiwohnen. „Dos Cuerpos“ heißt ein Gedicht von Octavio Paz, das Boris Guckelsberger wirkungsvoll vertonte. Zwei Violinen und die Viola streichen einen Grund, der nur zögerlich chromatisch voranschreitet. Darüber greift die Sopranstimme mit nur zwei Quintsprüngen in to- nale Kontinente, ganz so, als hätte sie Siebenmeilenstiefel übergestreift, bevor sie chromatisch das Gelände untersucht. Das wirkt genauso einfach wie überraschend und entspricht in der Form dem Inhalt des Textes: der Begegnung zweier Körper, die sich immer wieder anders zusammen erleben. Gabriele Alban erbrachte den Beweis, daß ein Sopran klar und laut sein kann, ohne dabei aufdringlich zu wirken.

Lux von Shiao-Wen Chang, ebenfalls ein Werk aus diesem Jahr, arbeitet mit Kontrasten zwischen lautem Gewitter und leisem Drohen. Verquickungen von Klangfarben lassen die Instrumente in völlig neuem Licht erscheinen, etwa wenn das Cello die Baßklarinette verdoppelt oder das Cembalo im Stakkato zwischen die Streicher hackt: War das wirklich ein Cembalo?

Ricardo Odriozolas glänzend interpretiertes Streichquartett Nr. 1 überrascht mit einem rhythmisch vertrackten Anfang. Eindeutige Anspielungen an Ligetis Streichquartette werden weiterentwickelt, indem die Wendung immer wieder versetzt einsetzt. Am Ende zerschmelzen die Klänge wie Dalis Uhren in der Wüste.

„Böse Seite“ hat der Schlagzeuger vor die Ziffer 2 in der abschließenden Kammersymphonie von Dominique Goris gekritzelt. Was hat es damit auf sich? Rüdiger Funke erklärt: „Das ist eine Rüge für den Komponisten. Die Seite ist unmöglich notiert. Und wenn wir sauer sind, dann geben wir auch Kontra. Wir sind eine neue Generation, wir machen nicht gute Miene zum bösen Spiel, wie man das in der Staatsoper noch tun muß.“

Gabriele Wittmann