Wenn Ärzte erkranken

■ Kollegen-Honorarverzicht in Verruf geraten

Auch ÄrztInnen werden krank. Doch was macht ein Optiker bei Magengrummen? Die gastrale Heilkraft von Dioptrinzahlen ist leider noch weitgehend unerforscht. ÄrztInnen gehen also auch zu ÄrztInnen. Das ist unter den KollegInnen unumstritten, weitaus strittiger präsentiert sich zur Zeit die Frage: Schreiben ÄrztInnen für die Behandlung von ÄrztInnen auch Rechnungen an die Krankenversicherung? Dieses Thema führte kürzlich irritierte Mediziner an einen Runden Tisch und zu dem dringenden Appell: „Mehr Solidarität im Kollegenkreis!“

Zwei Handvoll Ärzte (nur Männer) saßen auf Einladung des Standesverbandes „Hartmannsbund“ zusammen, nachdem bereits verunsicherte Leserbriefe im Ärzteblatt eingegangen waren. Der Grund: ÄrztInnen haben als Berufsgenossenschaft einen Gruppentarifvertrag bei den Krankenkassen. Der ist entsprechend niedrig, wenn die Kassen wenig Rechnungen bekommen. Also ist es die Gepflogenheit, sich gegenseitig untereinander kostenlos zu behandeln.

Eigentlich. Doch seit ein paar Jahren können sich auch MedizinerInnen gesetzlich versichern – früher war ihnen das gänzlich untersagt. Die es tun, denen sind die Gruppentarife egal, also auch der Honorarverzicht. Eine Laissez-Faire-Haltung breitet sich aus: Geschichten von solch unzumutbaren Begebenheiten werden erzählt, in denen ein erfolgreich behandelter Arzt sich salopp verabschiedet: „Na, dann schicken Sie doch eine.“ Eine Rechnung.

Der derart Brüskierte sagte dazu entrüstet: „Ich tu es nicht!“ Denn das Rechnungsschreiben erhöhe doch letztendlich auch die Gruppentarife. „Der einzige Sinn aber des Honorarverzichts ist und bleibt, unsere Prämie gering zu halten.“ So das Plädoyer des Traditionalisten.

„Marginalie“, lautete der Widerspruch vom eher managementorientierten Kollegen. Die Versicherungstarife niedrig zu halten, könne nicht das Ziel sein, hier müsse nicht Pekuniäres, sondern Emotionales diskutiert werden: „Corporate Identity!“ Treffer. Es ging also doch wohl eher um das Standesdenken. Obwohl sich da ja angeblich schon viel geändert haben soll. Einst wurde schwer geraunt in der KollegInnenschaft, wenn zum Ärzteball auch ZahnärztInnen, VeterinärInnen, ApothekerInnen geladen waren. Heute dagegen – ruft zwar der Optiker bei Bagatelldelikten wie dem Magengrummen den Nachbar(arzt) an. Doch von 3.500 MedizinerInnen in der Hansestadt können nur ein Drittel, die Niedergelassenen nämlich, sich per Honorarverzicht auch revanchieren. Ein unlösbarer Konflikt. Und die Präsidentin der Ärztekammer bescheinigt ihrer Ärzteschaft: Es krankt.

sip