"Maximale Pollen-Dosis"

■ Interview mit Allergologin Dr. Helma Hesse: Schlagartig hat die Heuschnupfensaison begonnen. Birkenpollen aggressiver

taz: Frau Hesse, seit dem Wochenende leiden viele BerlinerInnen schlagartig an Heuschnupfen, auch diejenigen, die es normalerweise erst im Mai erwischt. Hat die Heuschnupfensaison durch die ungewöhnlich hohen Temperaturen verfrüht begonnen?

Helma Hesse: Nein. Aber wir haben jetzt von einem Tag auf den anderen eine maximale Dosis von Birkenpollen. Alle, bei denen wir heute einen Allergietest durchgeführt haben, waren unter anderem gegen Birkenpollen allergisch. Es waren aber auch viele dabei, die früher nicht auf Birkenpollen allergisch reagierten, sondern auf Gräser und Roggen.

Das heißt, von einem Jahr aufs andere kann man auf weitere Pollenarten allergisch reagieren?

Ja. In meiner zehnjährigen Praxis habe ich beobachtet, daß früher Gräser- und Roggenallergien viel stärker vertreten waren, jetzt sind es zunehmend Birkenpollen.

Woran liegt das?

Zum einen daran, daß die Birken jetzt jedes Jahr blühen. Früher haben sie nur alle zwei, drei Jahre geblüht. In Städten entwickeln Birken aufgrund der hohen Schadstoffbelastung vermehrt Notblüten. Insgesamt ist also die Dosis der Birkenpollen höher. Außerdem verändert sich durch die Schadstoffbelastung das Birkenpollenallergen und wird zunehmend aggressiver.

Wie kommt es zu Notblüten?

In Belastungssituationen, wenn der Baum denkt, er lebt nicht mehr lange, blüht er öfter und trägt vermehrt Blüten und Pollen.

Blühen auch schon Gräser?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Gräser brauchen eine bestimmte Temperatur, und bis die ersten Pollen rauskommen, dauert es zwei, drei Wochen.

Am Wochenende wurden sehr hohe Ozonwerte festgestellt. Wie wirkt sich das auf Allergiker aus?

Es gibt keine eindeutigen Bezüge. Beides wirkt sich auf die Atemwege aus, und dann potenziert sich die Belastung. Ein Gräserpollenallergiker ist im Sommer bei hohen Ozonwerten viel kränker als jemand, der nur unter der Ozonbelastung leidet.

Ihre Praxis hat heute einen regelrechten Ansturm verzeichnet. Was für Beschwerden hatten Ihre Patienten ?

Viele hatten nicht nur Heuschnupfen, sondern auch schweres Asthma in der Nacht.

Was empfehlen Sie Patienten?

Was der Mensch an Beschwerden ertragen will, muß jeder für sich entscheiden. Derzeit kann man nur die Symptome lindern. Bei der Hyposensibilisierung [bei der den Patienten nach der Heuschnupfensaison regelmäßig Allergene gespritzt werden; d. Red.] haben wir eine hohe Erfolgsrate. Die wenigsten kommen in der Saison wieder. Interview: Dorothee Winden

Aktuelle Pollenflug- und Ozonwerte unter (0190) 270643