Maulkorb für den aufrechten Polizisten

■ Wachleiter, der menschenunwürdige Behandlungen in der Abschiebehaft aufdeckte, darf im Parlament nicht aussagen

Der pensionierte Wachleiter Wolfram Polewczynski, der die jahrelange menschenunwürdige Behandlung von rumänischen Abschiebehäftlingen öffentlich machte, darf bis auf weiteres im Parlament nicht als Zeuge auftreten. Dies sagte gestern der Vorsitzende des Innenausschusses, Rüdiger Jakesch (CDU). Jakesch begründete den Maulkorb mit einem angeblichen Ermittlungsverfahren gegen den 60jährigen ehemaligen Polizeioberkommissar. Gegenüber der taz berief sich der Vorsitzende auf entsprechende Informationen von Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU).

Aus welchem Grunde gegen den Polizisten ermittelt wird, war gestern nicht zu erfahren. Die Staatsanwaltschaft ließ verlauten, daß es sich um ein Verfahren der Polizei handeln müsse, doch diese lehnte jede Stellungnahme ab. Dem Sprecher der Innenverwaltung war es wiederum nicht möglich, genaueres zu erfahren.

In der gestrigen Sitzung des Innenausschusses rechtfertigte Polizeivizepräsident Schenk die jahrelange Praxis, ausnahmslos rumänische Abschiebehäftlinge in ausgediente Trainingsanzüge der Polizei gesteckt zu haben, bei denen zuvor die Reißverschlüsse herausgerissen worden waren. Es sei vorgekommen, daß Rumänen in ihre eigene Bekleidung Rasierklingen eingenäht hätten, um sich zu verletzen.

Als 1991 ein Richter rumänische Abschiebehäftlinge aufgrund menschenunwürdiger Kleidung aus der Haft entließ, habe er, Schenk, aber die zuständigen Mitarbeiter angewiesen, die Rumänen mit „anderen Trainingsanzügen“ zu versorgen. Daraufhin seien nur noch für jeweils ein bis zwei Tage in manchen Direktionen die Rumänen in zerrissene Anzüge gesteckt worden. Als er 1994 davon erfuhr, habe er diese Praxis ebenfalls abgestellt.

In der gestrigen Sitzung des Innenausschusses waren alle Fraktionen über die „Lumpenpraxis“ empört. Hans-Georg Lorenz von der SPD fühlte sich an Mißhandlungen in totalitären Staaten erinnert. Die Erklärung von Polizeivizepräsident Schenk sei nicht ausreichend. Dieter Hapel (CDU) warf Schenk vor, einen „Eiertanz“ zu bieten. Schenk soll nun schriftlich Bericht erstatten.

Uneinig waren sich Koalitions- und Oppositionsfraktionen allerdings in einer anderen Frage. War es richtig, daß Innensenator Jörg Schönbohm in den letzten Wochen fünf besetzte Häuser räumen ließ? CDU und SPD rechtfertigten die Polizeiaktionen, Bündnisgrüne und PDS übten Kritik.

Fraktionschef Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Grüne) unterstellte dem Innensenator, er verstünde unter der „Berliner Linie“ eine Räumungsrichtlinie. Während der Senat nach den über 100 Hausbesetzungen in West-Berlin Anfang der 80er Jahre „Legalisierungen wo immer möglich“ angestrebt habe, verhalte er sich sechs Jahre nach Mauerfall in Ostberlin in einer ähnlichen Situation kontraproduktiv. Etwa im Fall des Hauses Alt-Stralau hätte es eine einvernehmliche Einigung zwischen Besetzern und der Wohnungsbaugesellschaft geben können. Wenige Wochen vor der traditionellen 1.-Mai-Demonstration würde durch die ungerechtfertigten Räumungen Krawall und Randale provoziert.

Die PDS warf der Polizei vor, bei einer Demo geräumter Hausbesetzer am Montag letzter Woche unverhältnismäßig brutal gegen Teilnehmer vorgegangen zu sein. Schönbohm sei „ein Sicherheitsrisiko für diese Stadt“. Dirk Wildt