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■ StandbildDiskrete Schaulust

„Ein Haus in Deutschland“, Sonntag, 23 Uhr, ARD

Der dicke Teddy auf der Wohnzimmercouch hat nur noch ein Auge. Nebenan schießt ein Exoffizier auf eine Pappscheibe. Jemand erzählt sein Leben: „Meine Geburt war ziemlich schwierig für meine Mutter.“ Ein ehemaliger Grenzsoldat erinnert sich, daß er gerne ein „überzeugter Kommunist“ geworden wäre. Wie sein Großvater. Ein Hobbyfunker schildert, wie ihm sein Motorrad beim Schrauben um die Ohren geflogen ist und daß er noch dachte: „Scheiße, die Jeans ist im Eimer.“ Seine Verletzungen spürte er gar nicht. Nach dem Krankenhausaufenthalt sei es ihm peinlich gewesen, in die Kneipe zu gehen. „So ohne Hände“, sagt er. 16 Stockwerke, 431 Menschen, ungezählte Fenster, Topfpflanzen, Familienfotos.

Christiane Ehrhardts Dokumentarfilm erzählt von einem „Haus in Deutschland“, von einem Plattenbau-Hochhaus in Erfurt, das in die Jahre gekommen ist. Eine Sanierung ist unerschwinglich. Alles scheint nun auf die Abrißkugel zu warten.

Rund ein Dutzend BewohnerInnen erinnern sich vor der Kamera an Krieg, Gefangenschaft, Familientragödien, an große Pläne und kleinmütige Kompromisse. Kein Schnitt zensiert die Geschichten, keine ungeduldige Zwischenfrage bündelt fahriges Plaudern, keine Off-Stimme korrigiert Mißverständliches. Ob ein Witwer über Ordnung philosophiert und dabei umständlich seine Untertassen sortiert oder ob eine Rinderzuchtexpertin, die eigentlich Pferdezuchtspezialistin werden wollte, die Gesprächszeit zum Sockenstopfen nutzt – alles dauert eben so lange, wie es dauert. Ganz nebenbei wird aus Ehrhardts Hausbesuchen ein behutsames soziologisches Porträt über die Geprellten, die seit der Wende den Job los sind und am Leben nagen.

Christiane Ehrhardt versucht gar nicht erst, sich als Intimkennerin der Ossi-Seele auszugeben. Ihre Dokumentation ist einfach nur neugierig. Mit unverhohlener Schaulust stöbert die Kamera durch die Wohnwaben. Dennoch weiß sie, was sich gehört, geht nicht ungebeten in Küche oder Bad, sondern verharrt auf der Türschwelle. Zoomt sie Nippes heran, stellt sie ihn schon bei der nächsten Einstellung mit einer längeren Brennweite artig wieder zurück. Und wenn die Besuchten sich nicht beim Fernsehen, Backen oder Stopfen stören lassen, scheinen sie sich trotz Kamera ganz zu Hause zu fühlen. Birgit Glombitza

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