Der Papierfresser

Robert Hersant, Eigner des größten französischen Medienimperiums, ist gestorben  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Der Leser ist König“, pflegte Robert Hersant seinen Mitarbeitern zu sagen, während er ein Blatt nach dem anderen verschlang. 40 Titel – 2,5 Millionen tägliche Exemplare oder 30 Prozent des französischen Marktes – verleibte sich der am Sonntag im Alter von 76 Jahren verstorbene Verleger ein. Hinzu kamen Investitionen in Werbeagenturen, Druckereien, Radiosender, das Privatfernsehen und die Aufkäufe zahlreicher ausländischer Medien von Spanien bis nach Tschechien, Polen und Ungarn. Und obwohl die Hersant- Gruppe schon seit einigen Jahren tief in die roten Zahlen gerutscht ist, belegt sie immer noch den ersten Platz unter den französischen Pressegruppen.

Ganze Regionen haben heute keine Alternative mehr zu den Blättern aus dem Hersant-Imperium. Der „Papierfresser“, wie ihn Freund und Feind nannten, hat dort alles aufgekauft. Sein Monopol erstreckt sich von Lyon, der zweitgrößten Stadt des Landes, die er mit der Tageszeitung Progrès versorgt, über zahlreiche französische Provinzstädte, bis hin nach Guadalupe und Martinique, wo Hersant mit seinem 1964 auf Wunsch der örtlichen Potentaten gegründeten France-Antilles die bis heute einzige Tageszeitung besitzt. Flaggschiffe der Gruppe sind die konservativen Zeitungen Le Figaro, Paris Turf und das Sensationsblatt France Soir.

Wie kein anderer verstand es Hersant, seine publizistische Karriere politisch abzusichern. Seit den 50er Jahren hatte er – zunächst als Kandidat sozialistisch inspirierter Listen – Bürgermeisterstellen inne, saß später in der Nationalversammlung und bis zum Ende seines Lebens für die französischen Konservativen im Europaparlament. Seine guten Beziehungen reichen von den Gaullisten bis hin zu den Sozialisten. Seine Gegnerschaften erstrecken sich über dasselbe politische Spektrum. François Mitterrand war einer der alten Freunde Hersants: 1964, als der Sozialist zum ersten Mal für das Präsidentenamt kandidierte, hatte Hersant seine Kampagne unterstützt. 1981, als Mitterrand tatsächlich in den Elysée-Palast einzog, bildeten die Blätter der Hersant-Gruppe die stärkste publizistische Opposition gegen seine Politik.

Der kometenhafte Aufstieg des Papierfressers begann in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Während der Besatzung hatte Hersant mit mehreren Vichy-Blättern zusammengearbeitet. Unter anderem schrieb er für eine Wochenzeitung namens Pilori, deren Ziel die „Bekämpfung des Juden- und Freimaurertums“ war. Nach der Befreiung wurden dem Journalisten Hersant wegen dessen Kollaboration die bürgerlichen Ehrenrechte für 10 Jahre entzogen. Doch die Schande währte nur fünf Jahre, dann wurde Hersant begnadigt.

Zum Zeitpunkt seiner Amnestierung hatte Hersant den französischen Printmedienmarkt bereits mit einer neuartigen Kreation revolutioniert. Sein 1949 erstmals erschienenes Auto Journal schaffte es in drei Jahren auf 300.000 Exemplare. Später ließ er weitere auflagenstarke Blätter mit Titeln wie La pêche et les poissons (die Angelei und die Fische) und Sport Auto, sowie eine millionenstarke TV-Beilage folgen.

Hersants Engagements im elektronischen Bereich verliefen weniger erfolgreich. Aus dem Privatfernsehsender La Cinq, den er zusammen mit dem Italiener Berlusconi gegründet hatte, stieg er bereits 1990 wieder aus. Gleichzeitig allerdings expandierte Papierfresser Hersant in den europäischen Osten. Allein in Polen kaufte er starke Anteile oder Mehrheiten an neun Tageszeitungen, darunter an dem zweitgrößten Blatt des Landes Rzeczpospolita, wo er 49 Prozent hält. Auch im westeuropäischen Ausland verschaffte Hersant sich starke Positionen. So stieg er in die größte französischsprachige Zeitung Belgiens, die Brüsseler Le Soir und in die spanische Tageszeitung Diario 16 ein.

Die Krise auf dem Anzeigenmarkt schwächte die Hersant- Gruppe erheblich. Zwar sind ihre Geschäftsergebnisse ein Geheimnis, doch schätzen Kenner der Branche den gegenwärtigen Jahresumsatz der Gruppe auf 6 Milliarden Francs (rund 1,7 Milliarden Mark), denen mindestens 4 Milliarden Francs Schulden gegenüberstehen. Im Jahr 1994 trennte sich Hersant von zahlreichen Publikationen, die er an die britische Gruppe Emap bekaufte – darunter auch sein legendäres erstes Erfolgsblatt Auto Journal.

Doch die Sanierung der Hersant-Gruppe ist noch keinesfalls abgeschlossen. Schon vor den französischen Präsidentschaftswahlen des vergangenen Jahres, während derer das Imperium treu auf der Seite der Konservativen stand, ging das Gerücht um, daß Hersant „danach“ verkaufen würde. Nach dem Tod des letzten großen Zeitungszaren Frankreichs stellen sich die 8.000 Angestellten, die weltweit für seine Gruppe arbeiten, erneut die Frage: „Wann und an wen werden wir verkauft?“