Die wilden Fratzen der Schizophrenie

■ Nach 15 Jahren im Keller ist die Prinzhornsammlung wieder öffentlich zu sehen

Die kalte Steinhalle des Ottheinrichbaus im Heidelberger Schloß schafft einen echolosen Raum. Jedes Geräusch ist fremd und nur schwer einzuordnen. In dieser Atmosphäre aus Weitläufigkeit und Leere hängen die vergleichsweise winzigen Werke der Künstler. Alle waren sie zu Lebzeiten Insassen der Heidelberger Psychiatrie, fast alle mit der Diagnose Schizophrenie. Ihr Versuch, sich künstlerisch mit ihrer Wahnwelt auseinanderzusetzen, ist allerdings mehr als spontan entstandene Maltherapie. Ihre Werke spiegeln Begabung und zeigen die Versunkenheit in einer losen, bisweilen völlig unstrukturierten Geisteswelt.

Da ist der psychiatrische Fall Nummer 244, Franz Karl Bühler, der in fein angelegten Bleistiftzeichnungen die wilden, zu Fratzen verzerrten Tierdämonen seiner Wahnwelt aus den für ihn wichtigsten Töpfen seiner Krankenstation, den Nachttöpfen, fressen läßt. Der aus zahllosen Linien zusammenkonstruierte mechanische Kopf von Hyacinth Frh. v. Wieser (Fallnummer 193) erinnert an die Bauhaus-Figuren Oskar Schlemmers, nur der Titel ist etwas irritierend: „Männlichwürdige Art hat man unbedingt“. Und ist es Ironie oder einfach nur der wahnwitzige Gedanke eines armen Irren, wenn August Natterer den Antichrist zum „Anti-Apostel“ werden und gen Himmel fahren läßt?

Fünfzehn Jahre nach der letzten größeren öffentlichen Präsentation geht es den Ausstellern um die wörtlich wahnsinnige Schönheit der Kunst seelisch Kranker. Salvador Dali, Max Ernst, Paul Klee waren von der Prinzhornsammlung begeistert und ließen sich von ihr inspirieren. Im Dritten Reich galt die Sammlung, die der damalige Assistenzarzt gleichen Namens von 1919 bis 1921 zusammengestellt hatte, als entartet und wurde weggeschlossen. Die Kunstschaffenden wurden von den Nazis als unwertes Leben angesehen, einige der Patienten wurden ermordet.

Ihre Kunst überlebte dennoch. Aber es stellt sich die Frage, warum noch heute kein fester Ausstellungsort für die Bilder existiert. Seit Jahrzehnten lagern sie im Keller, wie unerwünschte Überbleibsel. Ein alter Hörsaal der Psychiatrie war zwar für die Sammlung reserviert, die Pläne für den Umbau zum Museum waren fertig, die nötigen drei Millionen Mark vom baden-württembergischen Finanzministerium wurden bewilligt. Dann erst entschied sich das Land, bei seinen Sparmaßnahmen die Gelder für das Projekt zu streichen.

Als vor einem Jahr vier Kunststudenten an der Berliner Hochschule der Künste von der Prinzhornsammlung erfuhren, gründeten sie einen Freundeskreis, wählten Künstler wie Peter Härtling, Georg Baselitz und andere in ihren Beirat und sammelten über 32.000 Mark Sponsorengelder. Sie waren der Grundstock für die jetzige Ausstellung, die vorher im Palais des Beaux-Arts, Charleroi, Belgien, gezeigt wurde. Dann übernahm der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel zusammen mit Gloria Fürstin von Thurn und Taxis die Schirmherrschaft und spendete zweihundert Mark.

Das war vor seiner Wiederwahl. Aber wenn sich nicht während der nächsten Legislaturperiode die Politiker auf eine Dreimillionenfinanzierung einigen können, dann bleibt den engagierten Privatleuten nichts anderes übrig, als diese weltweit einmalige Sammlung wieder hinter die Türen der Psychiatrie zu verbringen. Roberto Hohrein

Die Prinzhornsammlung ist im Heidelberger Schloß noch bis zum 28. April zu sehen.