: Herzkasper in der Kinderchirurgie
■ In der Kinderklinik Sankt Augustin bei Bonn sieht sich Chefchirurg Andreas Urban schweren Vorwürfen ausgesetzt. Zwei Kollegen gefeuert. Die Justiz ermittelt
„Es lohnt sich nicht. Da ist nichts zu machen“, hört Bärbel Röhl den Herzchirurgen noch heute sagen. Statt nichts zu machen, ließ die Mutter den schweren Herzfehler ihrer Tochter in einer englischen Privatklinik operieren. Sechs Jahre später, am Karnevalssonntag 1996, starb Sarah Röhl. Trotzdem hat sich die Operation „gelohnt“. „Ohne die Operation hätte ich keine sechseinhalb Jahre mit meiner Tochter verleben können und dürfen.“
Anne Hoffmann wandte sich vor zwei Jahren an denselben Chirurgen. Andreas Urban, Chefarzt der Herzchirurgie der Kinderklinik in St. Augustin, teilte ihr laut einem Bericht des Spiegel mit, der Herzfehler von Tochter Maren sei „inoperabel“. Auch Anne Hoffmann entschied sich für eine Operation im Priory Hospital in Birmingham: „Nach 14 Tagen hatte ich wieder ein gesundes Kind zu Hause“, erzählt sie heute, „wenn Herr Goltz nicht gewesen wäre, wäre Maren vermutlich nicht einmal ein Jahr alt geworden.“ Kinderkardiologe Klaus Goltz, Assistenzarzt an der Kinderklinik St. Augustin bei Bonn, organisierte auch in anderen Fällen eine Operation auf der Insel.
Ende März wurde er gefeuert. Sein Vorgesetzter durfte gleich mitgehen. Beide hatten sich nicht an die Dienstanweisung gehalten, nach der sie mit Eltern über eine Behandlung im Ausland nicht einmal sprechen dürfen ohne das Plazet der Herzchirurgischen Abteilung, die Andreas Urban untersteht. Mit Kommunikation scheint es in St. Augistin nicht weit her zu sein. „Wir mußten schriftlich miteinander kommunizieren“, berichtet etwa die Kardiologin Eva-Maria Oyen-Pernau, die bis 1993 in der Klinik beschäftigt war. „Außerdem hat Herr Urban in Einzelfällen Patientenunterlagen beschlagnahmt, damit die Patienten nicht auswärts operiert werden könnten.“
Am Umgang Urbans stört sich jetzt auch das elfköpfige Anästhesisten-Team: „Der Hauptverantwortliche für den beklagenswerten Zustand an diesem Hause, der seine Unfähigkeit beziehungsweise seinen Unwillen zur Kooperation auch für den Gutwilligsten hinreichend unter Beweis gestellt hat, wird durch die Eliminierung zweier profilierter Kardiologen in Zukunft noch effektiver gegen kompetente und kritische Fachdiskussion abgeschottet.“ Doch selbst eine Protestdemonstration von rund 100 Eltern vor dem Klinikgebäude konnte die Leitung des Hauses nicht umstimmen.
Ohnehin ist Feuer unter dem Dach: Eine anonyme Person hat Strafantrag gegen Urban gestellt wegen unterlassener Hilfeleistung mit Todesfolge. Im Februar, so die Anschuldigung, habe der 56jährige eine dringende Notoperation verweigert; auf dem Transport nach Birmingham sei das Kind dann gestorben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und hat auch schon diverse Akten beschlagnahmt.
Drei Ärzte für 3.000 kranke Kinder
Auf einer Pressekonferenz gestern versuchte Klinikchef Wilhelm Merkenich, die Sache herunterzuschrauben. In der Kardiologie müssen sich jetzt zwar drei Ärzte um rund 3.000 Kinder kümmern, der Verwaltungsmann aber sieht die „medizinische Versorgung in der Kardiologie weiterhin uneingeschränkt sichergestellt“.
Auf einen guten Ruf ist Merkenichs Haus dringend angewiesen. Denn künftig sollen die kleinen Patienten nicht mehr in England, sondern im neuen Herzzentrum operiert werden, das gleich neben der Klinik entstehen soll. Um die Finanzierung bemüht sich derzeit eine „Fördergemeinschaft Kinderherzzentrum Sankt Augustin“, für die Chefchirurg Urban schwer auf die Sahne haut. „Ich habe noch 20 Mark von meinen Geld, das ich für mein Zeugnis bekam, das kriegen die kleinen Kinder“, zitiert der Mediziner in einem Brief an die Förderfreunde das vorbildhafte Verhalten einer „siebenjährigen Franka“.
Seine Vorstellungen unterbreitete der Herzchirurg schon vor Jahren der Geschäftsführung der Johanniter: „Das Herzzentrum wird von dem Herzchirurgen geführt“, Verantwortlichkeiten seien „vertikal geregelt“. Neben steuerlich abzugsfähigen Spenden konnte der Förderklub auch schon der Strukturförderungsgesellschaft Bonn/Rhein-Sieg und dem Land Nordrhein-Westfalen mehrere Millionen Mark aus den Rippen kurbeln. Urbans Exkollegin Oyen-Pernau: „Man könnte den Eindruck gewinnen, daß die Entlassungen der Kardiologen von langer Hand geplant sind, weil in einem neuen Herzzentrum keine eigene kardiologische Abteilung mehr bestehen sollte.“ Andreas Urban gibt sich unbeirrt: „Im Mittelpunkt allen ärztlichen Bemühens steht das herzkranke Kind.“ Bernd Neubacher
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