„Wir sind fürchterlich provinziell“

■ Michael Daxner, Präsident der Uni Oldenburg, setzt auf die Massenuni und die „Lust, gescheit zu sein“

Michael Daxner, Präsident der Universität Oldenburg, vertritt mit Verve unbequeme Meinungen. So ist er ein „ausgesprochener Verfechter des Massenstudiums“, philosophiert über die „Lust, gescheit zu sein“ und klagt die „grenzenlose Unverbindlichkeit“ im deutschen Hochschulbetrieb an, die mitverantwortlich sei für die Abtötung dieser Lust. Daxner, der an der Wiener Philosophischen Fakultät über Ernst Bloch promovierte, über den Zustand der deutschen Hochschullandschaft zwischen Mittelmäßigkeit und Arroganz.

taz: Dem Massenstudium soll nicht zuletzt durch höhere Studiengebühren Einhalt geboten werden. Sie setzen sich für das Massenstudium ein.

Michael Daxner:Quantität hat immer etwas mit Demokratie zu tun, und allmählich wird auch unser System ein demokratisches, ein zivilisiertes. Das ist toll, daß so viele Leute studieren. Und die sind auch nicht dümmer als weniger. Nur müssen wir natürlich für 35 Prozent eines Jahrgangs sehr viel breiter anbieten als für fünf Prozent.

Trotzdem belegen die Zahlen, wie Sie sagen, daß ausländische Studenten das Interesse verlieren, in Deutschland zu studieren. Die Attraktivität der deutschen Unis leidet?

Ganz massiv. Den meisten ausländischen Studierenden erscheint unser Studium schlecht organisiert und undurchschaubar; sie fühlen sich auch schlecht betreut, weil die Kapazität unser Auslandsämter – die sehr gut arbeiten – so katastrophal unterbelegt ist. Es ist gar nicht möglich, sich anständig um die Leute zu kümmern. Die Individualisierung der Wissenschaftsfreiheit hat dazu geführt, daß es wirklich sehr wenig Strukturen gibt, die man als Erstsemester durchschauen kann. Die Infrastruktureinrichtungen unserer Hochschulen sind in aller Regel weniger studentenorientiert als in anderen Ländern. Man muß sehr ehrlich sein, und das hat ja sogar der Bundesaußenminister der Rektorenkonferenz ins Stammbuch geschrieben: Wir machen eine deutsche Universität und haben noch immer nicht kapiert, daß wir ein Europa haben und daß vieles an der Globalisierung nicht nur mit Wirtschaft zu tun hat, sondern auch mit Kultur, mit dem Transfer von Studienleistungen. Wir sind fürchterlich provinziell.

Sie sprechen von der „Lust, gescheit zu sein“. Spürt das Gros der Studierenden überhaupt noch diese Lust?

Es ist eine latente Lust vorhanden, die aber durch einige Sachen eingeschränkt wird. Erstens: Es wird zuviel für Prüfungen gelernt und zuwenig studiert. Prüfungen sind mittelerweile das Gerüst, an dem sich Studium orientiert, und das eine Perversion. Zum Beispiel könnte man eine Zwischenprüfung abschaffen, die keine diagnostischen Konsequenzen für das Hauptstudium hat. Und trotzdem werden Zwischenprüfungen benützt, um das auszusieben, was man vorher aus Demokratiegründen zugelassen hat. Ich finde das unsozial, anti-pädagogisch und vor allem: es schmälert die Lust, am eigentlichen Studieren.

Der nächste Punkt ist ein ganz heikler. Die Lehrenden bekommen vom Staat nur eine allgemeine Auflage, wie sie sich verhalten sollen. Die Studierenden bekommen – außer über BAföG – auch kaum Regulierungen. Es gibt überhaupt keine kodifizierten Gegenleistungen.

Wie wollen Sie gegen die Unverbindlichkeit angehen?

Ich finde, daß die Universität als Institution mit jeder einzelnen Studentin einen Vertrag schließt. Wofür sind wir verantwortlich und was müßt ihr dafür leisten? Beispiel: Es darf bei der Vorbereitung auf eine Lehrveranstaltung nicht nur Literatur und Thema angegeben werden, sondern es muß ganz klar sein: das Anspruchsniveau, der Aufwand. Und wenn dann Leute kommen, sage ich: Wir, die Lehrenden, bereiten uns anständig vor, aber ihr bleibt dann auch nicht weg, wenn's euch mal langweilig ist.

Ist nicht auch die ungünstige Betreuungs-Relation zwischen Lehrenden und Studierenden schuld an der Unverbindlichkeit an der Hochschule?

Diese Art der Überlastung ist nicht unser Problem. Schlimm ist, daß durch das Wegkürzen von Personal die wissenschaftliche Breite eingeschränkt ist. Das ist unser Problem. Wir haben manche Fächer, wo die Studierenden gar nicht mehr die Chance haben, sich zwischen wissenschaftlichen Richtungen zu entscheiden. Wo sozusagen sehr dogmatisch der Mainstream durchgepowert wird.

Ist die Lehre nicht auch dadurch bedroht, daß die Lehrenden sie vernachlässigen?

Die Karriere der deutschen Wissenschaftlerinnen (1) ist aussschließlich über Forschung definiert. Eine Sache kritisch in Richtung Studierende: Unsere Studierenden wehren sich zuwenig gegen schlechte Lehre, und sie belohnen die gute zuwenig.

Sie erhoffen sich durch Evaluation auch eine Verbesserung dieser Situation in Oldenburg. Werden die Studierenden einen Fragebogen bekommen, wo anzukreuzen ist, wie oft der Herr oder die Frau Professorin wieder mal zu spät gekommen ist?

Es geht dabei nie um die individuelle Denunziation, denn davon hat man nichts. In aller Regel sind das ja Leute auf Lebenszeit, die wird man eh nicht los, also sollen sie's doch besser machen. Das heißt, die Kritik muß sachlich und repräsentativ sein.

Sie sprechen vom Wegkürzen von Personal. Interessiert sich das Land nicht für die Uni?

Ich mag die Art und Weise, wie unsere niedersächsische Ministerin versucht, da noch das Beste draus zu machen. Aber es gibt einige rot-grüne Länder, zum Beispiel, wo ich unglücklich bin im Augenblick. Hessen oder so ... Und die Bundesregierung ist deutlich anti-intellektuell, und zwar auf breiter Basis. Wenn sie nämlich den Standort der wichtigsten Wirtschaftsnation des europäischen Kontinents ausschließlich am langweiligen Katalog der marktkonformen Technologien bemißt – das kann auch ein politischer Hilfsschüler. Bei uns glaubt man wirklich auf der intellektuellen Dünnbrettbohrer-Ebene von Herrn Rexrodt, die Leute zu motivieren, hervorragende wissenschaftliche Leistungen zu machen, das geht nicht. Die Standortpapiere der Bundesregierung sind als Seminararbeiten nicht akzeptabel.

Die Studierenden loben und meckern zu wenig. Was zeichnet sie noch aus?

Sie werden lachen, ich glaub, es gibt im Augenblick eine neue Studentengeneration, die ein bißchen mehr politisches Interesse hat. Die tun auch 'ne Menge, die sind auch gescheit. Die wissen, daß uns die Zeit davonläuft.

Fragen: Alexander Musik