„Ein Kuckucksei im Nest der Fusion“

taz-Serie Fusion: Bei der inneren Sicherheit scheiden sich die Geister. Brandenburg gibt der Polizei bei Festnahmen, Lauschangriff und Schußwaffengebrauch mehr Freiheiten  ■ Von Barbara Junge

Drei Tage Unterbindungsgewahrsam, Kleiner Lauschangriff auf Küche und Bad und garantierte Abhörsicherheit für das Schlafzimmer.

So könnte der Kompromiß aussehen, den Innenpolitiker der Länder Berlin und Brandenburg für ein fusioniertes Polizeigesetz ausknobeln. Vielleicht wird es aber auch den „Finalen Rettungsschuß“, den „Großen Lauschangriff“ und vierzehn Tage Vorbeugehaft für DemonstrantInnen geben.

Stimmen die BerlinerInnen und BrandenburgerInnen am 5. Mai für die Vereinigung, dann wird den beiden Ländern eine Diskussion ins Haus stehen, die schon in der Vergangenheit für Zündstoff gesorgt hat: An oberster Stelle der zu vereinheitlichenden Gesetze steht im Neugliederungsvertrag das Polizeigesetz. In Berlin gilt seit 1992 das novellierte Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG), das von der Opposition im Abgeordnetenhaus und dem Datenschutzbeauftragten Hans- Jürgen Garstka als zu repressiv kritisiert wird.

Unter dem sozialdemokratischen Innenminister Alwin Ziel hat Brandenburg im März jedoch ein Polizeigesetz verabscheidet, von dem auch der Sprecher des Innenministers, Manfred Fuger, ganz offen als „etwas repressiver als das Berliner“ spricht.

Die wesentlichen Unterschiede aus seiner Sicht sind erstens der Unterbindungsgewahrsam, also die Verhaftung von Personen, die möglicherweise Straftaten begehen könnten. In Brandenburg kann diese vorbeugende Festnahme bis zu vier Tage dauern, in Berlin nur zwei.

Zweitens die polizeiliche Beobachtung eines Verdächtigen zur „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ – in Brandenburg entscheidet darüber ein Amtsrichter, in Berlin der Polizeipräsident. Außerdem nennt Fuger in der Reihe der Unterschiede noch den „Großen Lauschangriff“.

In Berlin ist das Abhören von Wohnungen nur gestattet, „wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person unerläßlich ist“, so Paragraph 25 des ASOG. Das Land Brandenburg ist da nicht so zimperlich: Hier wird das Mittel auch zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ gegen Mord und Totschlag, gegen Völkermord, Menschenhandel oder Staatsschutzdelikte sowie Bandendiebstahl, Waffenhandel und Drogendelikte herangezogen.

Schließlich gehen die Anforderungen an der Schußwaffengebrauch der Polizei auseinander. Zwar ist der „Finale Rettungsschuß“ nicht im eigentlichen Polizeigesetz, sondern nur in seiner Begründung als „Ultima ratio“ zu finden, so Fuger, aber in Berlin ist er gar nicht vorgesehen.

Für Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher der bündnisgrünen Fraktion im Abgeordnetenhaus und Fusionsbefürworter, ist „das Polizeigesetz Brandenburgs ein Kuckucksei im Nest der Fusion“.

Wieland will im Vereinigungsausschuß des Parlaments, der im Falle einer Fusion gebildet wird, verhindern, das in Berlin durch das scharfe Brandenburger Gesetz der „Große Lauschangriff“, die Vorbeugehaft bis zu vier Tagen oder der „Todesschuß“, wie er ihn nennt, Einzug halten. Widerstand gegen die Brandenburger Polizeifreiheiten kommt nicht nur von der Opposition.

Auch Hans-Georg Lorenz, innenpolitischer Sprecher der Berliner SPD-Fraktion, schaut mit skeptischem Blick auf das Brandenburger Gesetz. Er sieht nicht ein, „daß das Land Berlin, das mehr Sicherheitsprobleme hat, die schärferen Regelungen von Brandenburg übernehmen soll“.

Obwohl Jurist Hans-Georg Lorenz die Ängste der BrandenburgerInnen ernst nimmt, unterstellt er ihnen „weniger Sensibilität für verfassungsrechtliche Gegebenheiten und ein übertriebenes Sicherheitsbedürfnis“.

Lorenz kritisiert auch die lange Vorbeugehaft in Brandenburg und den Lauschangriff. Für diesen empfiehlt er die Berliner Regelung, auf die er stolz ist: Auch das Abhören von Wohnungen verantwortet in Berlin der Polizeipräsident, was die Anwendung erheblich einschränke. „In Brandenburg hält keiner den Kopf dafür hin. Nur eine richterliche Genehmigung ist notwendig, da gibt es Uberwachung serienmäßig“, stellt Lorenz fest.

Einer allerdings freut sich auf die Fusion der Polizeigesetze. Dieter Hapel, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in Berlin. Ihm liegt der „Finale Rettungsschuß“ und der viertägige Unterbindungsgewahrsam der Brandenburger am Herzen. „Wir haben den Bürgern mit der Fusion mehr Sicherheit versprochen“, sagt er, und mit Hilfe des Brandenburger Reglements will er für diese Sicherheit sorgen.

Ginge es nach der Gewerkschaft der Polizei, dann behielten Berlin und Brandenburg ihre jeweils eigenen Regelungen. Die GdP nämlich ist gegen die Fusion. Sowohl der Berliner GdP-Geschäftsführer Klaus Eisenreich als auch der Chef der Brandenburger Polizeigewerkschaft, Domanski, lehnen die Vereinigung aus Angst um Arbeitsplätze ab.

Die Zusammenarbeit wollen die Beamten auch anders regeln. Seit dem 17. Juni 1992 regelt nämlich das „Gesetz zu dem Abkommen über die erweiterte Zuständigkeit der Länder bei der Strafverfolgung“ die grenzübergreifende Zusammenarbeit der Ordnungsbehörden auch in Berlin und Brandenburg. Zum 1. Mai 1996 tritt außerdem ein spezielles Berlin-Brandenburger Abkommen zwischen den Polizeibehörden in Kraft.

Die Kooperation bei den Ermittlungen ist ebenfalls unabhängig von der Fusion bereits unter Dach und Fach: Nach Auskunft des Berliner Datenschutzmitarbeiters Hans-Wilhelm Heibey wird die Datenerfassung von Verbrechen, Verdachtsmomenten und Ermittlungsergebnissen in Berlin und Brandenburg runderneuert und bei dieser Gelegenheit im gemeinsamen „Polizeilichen Informations- und Kommunikationssystem“ (Poliks) zusammengeführt.

Sollten die Länder und ihre Gesetze aber fusionieren, so sehen selbst die Kritiker einen Lichtblick im Brandenburger Gesetz: Es ist dort keine „Freiwillige Polizeireserve“ vorgesehen, und im Nachbarland darf – so eine Regelung fehlt in Berlin – nicht auf Schwangere geschossen werden.