Innenverwaltung mißachtet Justiz

■ Beschlüsse des Verwaltungsgerichts werden konsequent ignoriert

Die Verwaltung von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) ist ein beharrlicher Rechtsbrecher. Die von ihm geführte Ausländerbehörde weigert sich seit rund einem Monat, in einer Vielzahl von Fällen sofort vollziehbare Beschlüsse des Verwaltungsgerichts umzusetzen und bosnischen Kriegsflüchtlingen Aufenthaltsbefugnisse zu erteilen. Rechtsanwältin Ellen Apitz, die eine Reihe von Betroffenen vertritt, spricht deshalb von einer „flächendeckenden Blockadepolitik“ der Ausländerbehörde.

Die 35. Kammer des Verwaltungsgerichts und die Innenverwaltung liegen schon länger im Streit. Anfang Januar erteilten Schönbohms Beamte die bundesweit einmalige restriktive Weisung, alleinstehenden BosnierInnen die zwangsweise Abschiebung anzudrohen, falls sie nicht bis Juli freiwillig ausgereist sein sollten. Folge: Tausende von Betroffenen legten Rechtsmittel ein. Die einen wollen sich eine Aufenthaltsbefugnis erstreiten, um nicht ohne jede Perspektive in ein zerstörtes Land abgeschoben zu werden. Die anderen möchten ihre Rückkehr vorbereiten und benötigen die Aufenthaltsbefugnis, um von den Transitländern nach Bosnien durchgelassen zu werden. In all diesen Fällen hat die 35. Kammer die Ausländerbehörde immer wieder auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis verpflichtet.

Die Ausländerbehörde aber, so Anwältin Apitz, hebele diese Gerichtsbeschlüsse mit einem Trick aus. Sie warte tatenlos ab, bis das Gericht zuerst die Vollstreckung und schließlich ein Zwangsgeld androhe, wenn sein Beschluß weiter ignoriert werde. Gegen diese Strafandrohung lege die Behörde Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein. Diese Beschwerde aber hat aufschiebende Wirkung. Nebeneffekt dieses juristischen Nebenwegs: Aus einem Verfahren werden binnen Tagen vier Verfahren, die Überlastung des Verwaltungsgerichts steigt weiter an.

Eine rationale politische Strategie kann die Anwältin dahinter nicht mehr erkennen. Wenn Flüchtlinge auf diese Weise an der Rückkehr gehindert werden, tue „die Ausländerbehörde sich selber nichts Gutes“. Apitz vermutet „blinden Aktionismus“: „Hier hat keiner mehr den Überblick.“

Womöglich begründet sich die Blindheit auch aus fast schon persönlicher Feindseligkeit gegenüber der 35. Kammer. In einem Fall, berichtet Ellen Apitz, habe die Ausländerbehörde Beschwerde gegen einen Beschluß der Verwaltungsrichter eingelegt, obwohl diese die Rechtsauffassung der Behörde bestätigt hatte. „Offenbar werden die Beschlüsse der 35. Kammer nicht einmal mehr gelesen“, vermutet die Anwältin. Ähnliches erlebte jüngst Norbert Kunath, der der Kammer angehört. In mindestens einem Fall habe die Ausländerbehörde quasi vorsorglich Beschwerde eingelegt, so der Richter, „bevor ich die Gründe für den Beschluß überhaupt formuliert hatte“.

Der Pressesprecher der Innenverwaltung, Thomas Raabe, widersprach gegenüber der taz, Beschlüsse des Verwaltungsgerichts zu ignorieren. Der Pressesprecher verwies auf eine Entscheidung des 6. Senats des Oberverwaltungsgerichts vom 4. April dieses Jahres, der eine Entscheidung der 35. Kammer des Verwaltungsgerichts vom Dezember letzten Jahres auf Erteilung einer Befugnis aufhob. Raabe räumte jedoch ein, Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts abzuwarten. Ute Scheub