Schnittplatz Schule

■ Filmen, Moderieren, Zeitungmachen: In einer Hamburger Gesamtschule entstand die erste Medienklasse Deutschlands

Die 14jährige Julia fand Medien „schon immer interessant“; die gleichaltrige Tanja wollte „den Bereich nur mal kennenlernen“, während Konstantin, ebenfalls 14, schon beschlossen hat, Kameramann zu werden und die 13jährige Kathy bereits neben der Schule als Synchronsprecherin arbeitet. Alle vier sind SchülerInnen der Wahlpflichtklasse Medien an der Hamburger Gesamtschule Walddörfer. Als einzige Schule Deutschlands wird hier Medien an drei Stunden in der Woche als eigenständiges Fach unterrichtet.

Die Idee dazu entstand bei der Produktion eines täglichen Schulfernsehens während einer Projektwoche. „Die Schüler waren so begeistert, daß wir danach Medien als neues Wahlpflichtfach angeboten haben“, sagt der Mitinitiator Markus Hübner. Der 40jährige Pädagoge ist inzwischen Klassenlehrer in einer von drei Medienklassen seiner Schule. Der neue Wahlpflichtbereich fördert und vermittelt aus seiner Sicht sowohl kreative als auch technische Fertigkeiten. Ansonsten wählten Mädchen eher den sprachlich-musischen und Jungen den sportlich-technischen Wahlpflichtbereich.

Außerdem seien Medien ein immer wesentlicherer Bestandteil des Lebens geworden und müßten deshalb auch in der Schule mehr Beachtung finden. Markus Hübner will dabei vor allem praktische Fähigkeiten bei der Herstellung von Medienprodukten vermitteln. Ein von seinen Schülern gedrehter Kurzspielfilm hat auf einem Hamburger Amateurfilmfestival bereits einen Preis gewonnen, und auch eine fast 30seitige Zeitung hat seine Klasse im Unterricht schon hergestellt. Weitere Fernsehproduktionen sollen im Schulfenster des Hamburger Offenen Kanals ausgestrahlt werden.

Allerdings ist unsicher, ob der Bereich Medien auch zukünftig als eigenständiges Fach existieren wird. Denn wie die übrigen Bundesländer will Hamburg zwar mehr Medienerziehung, diese soll aber fächerübergreifend in den Unterricht integriert werden. Gerade die Fächer Deutsch und Politik bieten gute Möglichkeiten, Medien kritisch zu analysieren, meint der zuständige Abteilungsleiter in der Hamburger Schulbehörde, Uwe Heinrichs. Nach Ansicht von Markus Hübner ist so allerdings keine eigene Produktion von Medien möglich.

Die Arbeit vor und hinter der Kamera, am Schnittplatz oder beim Zeitungslayout ist für die Jugendlichen aber gerade der entscheidende Anreiz, das Fach Medien zu wählen. „Ich will in die Öffentlichkeit kommen, da ist die Schauspielerei eine gute Möglichkeit“, gibt Kathy offen zu. Das Vorbild von Corinna ist die Viva- Moderatorin Heike Makatsch. „Beim Schulfernsehen kann ich auch mal selber moderieren, statt nur zuzugucken“, sagt die 14jährige Schülerin. Dies bringe viel mehr Spaß als ihr früheres Berufsziel Zeitungsredakteurin: „Schreiben ist mir inzwischen viel zu langweilig“, so Corinna.

Um überhaupt medienpraktische Fertigkeiten vermitteln zu können, hat Markus Hübner eine einjährige berufsbegleitende Weiterbildung absolviert. „Da für Schulproduktionen keine optimale Technik erforderlich ist, reicht das für den Unterricht“, sagt Hübner. Der pädagogische Erfolg sei nicht von Preisen abhängig, sondern erfordere nur Produkte, die Mitschülern und Eltern gezeigt werden können. Für die Präsentation während eines Tages der offenen Tür hätten seine Schüler auch schon an Wochenenden einen Film geschnitten und vertont. „Bei der Vorführung waren die dann stolz wie Oskar“, sagt Hübner.

Die Produktion eigener Medien ermöglicht den SchülerInnen nach Hübners Erfahrung auch eine andere Einstellung zur professionellen Medienlandschaft. Ein Eindruck, den die Jugendlichen bestätigen. So hat die 14jährige Corinna erst während der eigenen Zeitungsproduktion gemerkt, wie schwierig es sein kann, alles genau mitzuschreiben. „Seitdem habe ich vor der Arbeit von Reportern mehr Respekt“, bekennt sie. Viele ihrer KlassenkameradInnen sind aber auch für Fehler der professionellen MedienmacherInnen sensibler geworden. „Der Schwenk hätte besser kommen können“, denkt sich Julia inzwischen häufig, wenn sie Billigproduktionen der Privatsender anschaut.

Ihr Fernsehverhalten haben die SchülerInnen bislang aber noch nicht geändert. „Wenn ich abends zu Hause bin, gucke ich auf RTL ,Gute Zeiten, schlechte Zeiten‘ und lästere danach über die schlechten Schauspieler. Aber am nächsten Tag schaue ich es wieder“, sagt Corinna. Der 14jährige Tobias kann sich an seinen letzten vollständigen Film überhaupt nicht mehr erinnern: „Ich zappe nur durch die Gegend.“ Zeitunglesen kommt für die meisten SchülerInnen der Medienklasse ohnehin nicht in Frage: „Es gibt doch Videotext“, sagt der 14jährige Niklas stellvertretend für seine KlassenkameradInnen. Kai Nitschke