„Hells Angels“ versus „Bandidos“

Bandenkrieg mit Panzerabwehrraketen und Autobomben: Der Kampf zweier Outlaw-Klubs um Macht und Ehre hat schon mehrere Tote gefordert. Brennpunkt ist Skandinavien  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Die Panzerfaust riß ein großes Loch in die Vorderfront des Hauses, brach sich durch mehrere Innenwände und blieb erst in der rückwärtigen Hauswand stecken. Eine andere Rakete gleichen Typs krachte in einen Anbau ein und setzte ein Haus mit einem Versammlungssaal in Brand. Nicht Beirut oder Bosnien waren letzte Woche Schauplatz dieser Ereignisse, sondern Snoldelev und Nörresundby, zwei idyllische, dänische Dörfer. Ein paar Tage vorher explodierten Panzergeschosse in Kattarp und Hasslarp. Zwei ähnlich idyllische Dörfchen in Südschweden.

Die sicherlich nur vorläufig letzten Gefechte dieser Art galten jeweils Versammlungslokalen der „Hells Angels“ und „Bandidos“ und sind nur der aktuelle Teil eines von den Medien als „nordischer Rockerkrieg“ verkauften jahrelangen Machtkampfes zwischen den beiden MC-Klubs. Die Hells Angels – 1948 unter dem Motto „fuck the world“ gegründet –, bislang nicht nur weltweit, sondern auch in Nordeuropa führender MC-Klub, sind auf dem besten Wege, von den Erzfeinden Bandidos – 1965 von Vietnam-Veteranen ins Leben gerufen – auf einen als unehrenhaft empfundenen zweiten Platz verdrängt zu werden.

Denn um Ehre ging es ganz offensichtlich, nicht um einen Machtkampf im Rauschgiftgeschäft, wie die nordische Boulevardpresse gleich zu wissen glaubte, als am 10. März der latente Kampf der beiden Gangs mit Schießereien auf den Flughäfen von Oslo und Kopenhagen in einen neue, heiße Phase eingetreten war. Ein Toter und drei Verletzte lautete die Bilanz, als Bandidos-Mitglieder ins Feuer von Hells-Angels-Waffen gerieten. 500 Bandidos aus ganz Nordeuropa hatten am Tag vorher im finnischen Helsinki die Einweihung eines neuen Klubhauses gefeiert. Nach ersten Geplänkeln dort hatte die finnische Polizei ihre schwedischen Kollegen vorgewarnt, die mit einem Massenaufgebot am Stockholmer Flughafen eine Auseinandersetzung unter den heimkehrenden Outlaws verhindern konnten. In Kopenhagen und Oslo waren die Warnungen nicht so ernst genommen worden. Seither lösen sich gegenseitige Racheaktionen ab.

Um die erst seit 1989 nach Europa expandierten Bandidos zu stoppen, ist den Angels offenbar jedes Mittel recht. Im Sommer letzten Jahres war der schwedische Bandido-Präsident von einem Präzisionsschützen auf einer Autobahn in voller Fahrt auf seinem Motorrad ermordet worden. Zwei Raketenangriffe auf Hells-Angels- Quartiere und eine Autobombe in einem mitten in der südschwedischen Stadt Helsingborg geparkten PKW waren damals die Antwort. Und überhaupt waren die Schüsse auf der Europastraße 4 offenbar für beide Seiten ein Startsignal für die Intensivierung des Machtkampfs. Am 25. Juli, dem Tag der Beisetzung von Michael „Joe“ Ljunggren, trafen sich Bandidos aus Frankreich, Großbritannien, Skandinavien, Österreich, Deutschland und Australien in Südschweden, während zur gleichen Zeit Hells Angels aus ganz Europa in Berlin zusammengekommen waren. Auf beiden Treffen wurde offenbar eine Strategie festgelegt, die auf Konfrontation setzt. Warum neben Kanada – hier gab es seit August 1995 gleich 14 Tote – und Frankreich, wo derzeit ähnliche „MC-Kriege“ toben, gerade Skandinavien so wichtig für die beiden in den USA beheimateten Outlaw-Organisationen ist, hat nach Meinung der Polizei mit der Nähe zu den „neuen Märkten“ in Polen, dem Baltikum und Rußland zu tun. Die von den Zentralen in Houston, Texas und Oakland, Kalifornien straff geführten Klubs seien angewiesen worden, in ihren Ländern einen entscheidenden Kampf um die Vormacht zu schlagen: dem führenden westeuropäischen Klub werde auch die „Ostmacht“ zufallen.

Der „Krieg“ wurde offenbar ganz planmäßig vorbereitet. Seit 1994 häuften sich in Dänemark Waffendiebstähle und in Südschweden Einbrüche in militärische Waffenlager.

Die dabei gestohlenen Panzerabwehrraketen, Maschinenpistolen und M-75-Gewehre tauchten später vor allem im Bandidos-Besitz wieder auf – auch die Mittwochnacht in Dänemark eingesetzten Waffen stammen aus diesen Diebstählen. Um den schwedischen Freunden zu helfen, liehen die dänischen Angels ihren eigenen „Kriegsminister“ („sergeant of arms“) nach Malmö aus, um die offenbar noch nicht genügend kampferfahrenen dortigen MCler zu unterstützen.

Während für Medien und die Polizei ökonomische Interessen aus kriminellen Geschäften der hauptsächliche Hintergrund für den Kampf der Outlaws sind, geht es laut dem dänischen Kriminologen Joi Bay um nicht mehr, aber auch nicht weniger als um „klassische männliche Macho-Rivalität: Mut, Stärke, Ehre und Erniedrigung des Gegners“.

Joi Bay meint, daß nichts anderes übrig bleibe, als die MC-Gangs in ihrer Außenseiterrolle zu akzeptieren: „Natürlich nicht Kriminalität. Aber da kann die Polizei nichts machen. Es steht allein in der Macht der Klubs selbst, diese zu stoppen. Geht die Polizei mit Großaufgebot und Razzien vor, wird nur der Zusammenhalt der Gruppen gestärkt.“ Tatsächlich wollen die Clubs von Polizei und Ermittlern absolut nichts wissen – nicht einmal bei der Suche nach den Todes- und Raketenschützen der jeweiligen Gegenseite sind die Gangs bereit, mit der Staatsmacht auch nur ansatzweise zu kooperieren.