Mit dem Feuerzeug fühlte er sich stark

Prozeßbeginn gegen jugendlichen Brandstifter in Stuttgart: Anklage lautet auf siebenfachen Mord  ■ Von Philipp Maußhardt

Stuttgart (taz) – Sein Leben ist eine einzige Brandspur: Joachim H. legte seit seinem 17. Lebensjahr ein Feuer nach dem anderen, die genaue Zahl weiß er heute selbst nicht mehr. Telefonzellen, Abfallcontainer, Feldscheunen...und zuletzt Wohnhäuser. In Esslingen bei Stuttgart legte er gezielt Feuer in Häusern, in denen Ausländer wohnten. Nur dem Zufall ist es zu verdanken, daß niemand dabei starb. Doch die Staatsanwaltschaft hält Joachim H. auch für verantwortlich an dem verheerenden Brandanschlag auf eine Ausländerunterkunft in Stuttgart, bei dem am 16. März 1994 sieben Menschen starben. Alles gab der Angeklagte gestern vor Gericht zu – nur das eine nicht. Den Brand in der Stuttgarter Geißstraße habe er nicht gelegt.

Die Biographie des heute 25jährigen könnte einem Lehrbuch der Straffälligkeitslehre entnommen sein: Unglückliche Kindheit, von den Eltern verstoßen, keine Freunde, keine Ausbildung – Elend, wohin man schaut. Schon als 16jähriger verdiente sich Joachim H. sein Geld auf dem Jungen- Strich in Stuttgart, soff sich die Hucke voll und war in seiner Ohnmacht immer nur dann stark, wenn er alleine mit seinem Feuerzeug durch die Nacht streifte.

Wo er Feuer legte, war ihm anfänglich ganz egal. Eine offene Tür genügte, um in irgendeinem Keller oder einem Schuppen die Flammen züngeln zu lassen. Stundenlang schaut der schmächtige Junge dann zu, welche Wirkungen er erzielte, wenn die Feuerwehren die Folgen seines Tuns bekämpften.

Eigentlich sei er kein Ausländerfeind, sagte Joachim H. dem Gericht. Einmal war Joachim H. vor dem Bahnhof von vier jungen Türken verprügelt worden. Er erstattete Anzeige. Das Urteil für die Täter fand er viel zu milde. Das war aber nach dem Brand in der Geißstraße. Daß er nach den Bränden Zettel hinterlegte, auf denen Hakenkreuze gemalt waren und Parolen wie „Kanaken raus“ standen, sei ihm halt so eingefallen. Daß wirklich durch ihn Menschen sterben könnten, habe er nie beabsichtigt und nie gewollt.

Bis heute geht auch die Staatsanwaltschaft davon aus, „daß für den Anschlag kein ausländerfeindliches Motiv zu erkennen ist.“

Im Frühsommer des letzten Jahres war Joachim H. in Esslingen verhaftet worden, als er auf einer seiner nächtlichen Touren wieder nach geeigneten Objekten Ausschau hielt. Drei Tage lang verhörte ihn die Polizei, ein Verteidiger war nicht dabei. Am Ende gab Joachim H. auf Drängen der Beamten zu: Ja, den Brand in der Geißstraße, bei dem sieben Menschen, darunter zwei kleine Kinder getötet wurden, den habe er auch gelegt. Wenige Stunden später widerrief er sein Geständnis.

Der in Handschellen aus der Untersuchungshaft in Stuttgart- Stammheim in den Gerichtssaal geführte Angeklagte spricht leise, zum Richter gewandt, die Hände vor den Augen als Schutz gegenüber den Zuhörern und den Hinterbliebenen der Opfer. Seine Antworten sind präzise, sein Erinnerungsvermögen oft bis ins Detail genau. Hier sitzt kein dumpfer Blödian vor seinen Richtern.

Joachim H. ist intelligent und willensstark. Letzteres bewies der junge Mann nicht zuletzt, als er vor drei Jahren sturzbesoffen zur Entgiftung in ein Krankenhaus eingeliefert worden war. Nach nur fünf Wochen Aufenthalt in der Klinik war Joachim H. trocken – und er ist es bis heute.

Die Mehrzahl seiner Brände legte er nüchtern, in der Zeit von Oktober 1993 bis Juni 1995, wenn er von seinen Streifzügen aus der Stuttgarter und Esslinger Innenstadt nach Hause kam. Ein katholischer Mesner hatte ihn bei sich aufgenommen, anfänglich gegen sexuelle „Bezahlung“, später kam die Menschenliebe dann dazu. Bis heute ist dieser Mann der einzige, der eine persönliche Beziehung zu Joachim H. unterhält. Zu seinen Eltern hat Joachim H. heute jeglichen Kontakt abgebrochen.

Immer auf dieselbe Weise entzündete Joachim H. die Brände: Mit einem Feuerzeug entflammte er Abfälle, Papier oder was er sonst herumliegen sah. Nie benutzte er Benzin oder andere Brandbeschleuniger. Genau auf diese Weise aber entstand auch der Brand in der Stuttgarter Geißstraße: Die Flammen im Treppenhaus versperrten den Bewohnern damals den Fluchtweg.

Ob Joachim H. sich dafür verantworten muß, wird die Schwurgerichtskammer in Stuttgart in einigen Wochen entscheiden. Das Mordhaus jedenfalls ist inzwischen wieder renoviert und in eine Stiftung umgewandelt. Im Erdgeschoß befindet sich heute ein „Café International“, darüber eine Begegnungsstätte für Deutsche und Ausländer.