■ QUERBILD: Mary Reilly
Es ist ein weiterer Schritt in der scheinbar unendlichen Reihe von Besetzungen gegen den Strich, gegen das Image des Stars. Für die Titelrolle von Mary Reilly, die eigens dem Roman Dr. Jekyll und Mr. Hyde von Robert Louis Stevenson zugefügt wurde, buchte Stephen Frears ausgerechnet Pretty Woman Julia Roberts als Dienstmädchen (Foto). Doch bereits in der ersten Szene wienert sie mit makellosen Händen, spitzen Fingern und sauberen Fingernägeln einen Grabstein. Auch wenn dies als Wahrscheinlichkeitskrämerei ausgelegt werden kann: Die Roberts ist schlichtweg untauglich als von ihrem Herren abhängige und schwer schuftende Dienstmagd aus dem Jahr 1885.
Dennoch erzählt Stephen Frears aus ihrer Perspektive die Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, die bisher immerhin vier- mal verfilmt wurde und bereits einmal zur Parodie geriet. Der englische Regisseur, der mit Mein wunderbarer Waschsalon den „neuen englischen Film“ auf die Spur setzte, besorgte sich für Mary Reilly die alte Crew seines erfolgreichen Historien-Melodrams Gefährliche Liebschaften. Sogar Glenn Close als zynische und wunderbar dekadente Puffmutter Mrs. Farraday und John Malkovich als Dr. Jekyll und Mr. Hyde sind mit von der Partie.
Eigentlich hätte also nichts schief gehen können. Doch beide, insbesondere der method actor John Malkovich, spielen die biedere Julia gnadenlos an die Wand – wobei man ihnen manchmal den Spaß förmlich ansieht. Das wird insofern tragisch für den Film, als das Dienstmädchen die Schnittstelle für den Zuschauer darstellt.
Sie hat, wie ihr Herr, ein Geheimnis, das es zu lüften gilt. Und aus dieser gemeinsamen Verrätselung – so will es das Drehbuch – soll die Zuneigung, das Verständnis zwischen beiden sprießen. Allein, der verängstigten Rehäugigkeit von Julia Roberts will man keine Sekunde ihre Faszination für das Böse im Anderen abnehmen. In ihren Duetts mit Malkovich, wenn sich das Bild mit Emotionen, Abhängigkeiten und Schuld dieser amour fou aufladen müßte, bleibt Mary Reilly merkwürdig unterkühlt.
Doch neben dieser Fehlbesetzung von Julia Roberts, die – anders als zuletzt Sean Penn – wohl auf der Schauspielschule nur eine Rolle gelernt hat, gibt es noch lichte Momente. Der Kameramann Philippe Rousselot (Diva, Henry&June) hat das Kammerspiel in eine ebenso klaustrophobische wie stilisierte Melange aus Braun und Grau getaucht und flatternde Schattenspiele in der Tradition der deutschen Expressionisten inszeniert. Vor allem aber fährt er mit großer Vorsicht die spärlich beleuchteten Gesichter ab, um so tief in die Figuren einzudringen. Doch da blickt er, wenigstens bei Julia Roberts, ins Leere. Volker Marquardt
City, Holi, Oase, Zeise
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen