Traumschiff von Designers Gnaden

■ Schöner Schiffbauen: Mit Volldampf aus der Krise/ Das „Design-Labor“ legt Ideen für die Fähren der Zukunft vor

Kaum etwas wird die Fährgäste der Zukunft an die Schiffserlebnisse ihrer Jugend erinnern. Die Keilform des Bugs, an der sich die Wellen in schäumenden Gischtspritzern brechen; die schräg in den Wind gebauten Schornsteine; der weiße Schiffslack, der von der Reling bis zur Brücke alle Bauteile überzieht: Von alledem gilt es, Abschied zu nehmen. Wie sich junge Designer stattdessen die Fähre des nächsten Jahrtausends vorstellen, ist allerdings nicht weniger berauschend. Elegante Stromlinienformen, eine weich fließende Außenhaut aus silbrig glänzendem Metall, kubische Deckaufbauten in Knallorange – Assoziationen an den Flugzeugbau sind ebenso erwünscht wie Erinnerungen an die windschnittigen Schlitten des Automobilbaus der 50er Jahre.

Das Traumschiff hat bereits einen Namen: HYSWAS. Eine „Superschnellfähre“, die per Düsenantrieb bis zu 300 Personen und 80 Wagen über Nord- und Ostsee schippern soll. HYSWAS ist zugleich ein Paradebeispiel dafür, wie eine hochwertige Designförderung Impulse für die betreffende Region geben könnte. Denn der neue Typ Fähre entstand im vergangenen Semester im Design-Labor Bremerhaven, wo junge Gestalter ihre Fähigkeiten anhand von Forschungsaufträgen aus der regionalen Wirtschaft erproben und verbessern können. Jetzt stellte der erste Jahrgang – acht Stipendiaten umfassend – seine Projektstudien vor, sämtlich für den Schiffbau, und sämtlich mit radikal neuen Gestaltungsideen.

Daß man den altvertrauten Formenschatz maritimen Designs so einfach über Bord werfen konnte, begründet sich aus den Prinzipien des Design-Labors. Hier sollen die angehenden Designer, alle frisch von der Hochschule, zwar an konkreten Projekten arbeiten, aber möglichst frei und unbeschwert von etwaigen Verwertungsgedanken. Ob sich der silberne Fährenflitzer im Ernstfall rentiert oder nicht, ist sekundär.

Für einen Bruch mit den Traditionen des Schiffbaus sprachen aber auch die Vorgaben der Unternehmen. Das HYSWAS basiert nämlich auf einem neuen Antriebssystem. Die Idee trug ausgerechnet ein Entwicklungsinstitut des maroden Vulkan-Verbundes an das Design-Labor heran. Die Fähre der Zukunft soll demnach von einem schmalen, raketenförmigen Unterwasser-Antrieb befördert werden. Sämtliche Aufbauten würden dabei während der Fahrt komplett aus dem Wasser ragen – über Wasserverdrängung oder Seegang brauchen sich die Gestalter folglich keine Gedanken mehr zu machen. Freie Bahn den frei flottierenden Design-Ideen.

So besannen sich die Forscher, ganz im Zeichen postmoderner Zitierfreude, auf die Stile vergangener Design-Epochen. Bei den silbernen Fassaden lassen die Klassiker der Mercedes-Sportwagen-Fabrikation grüßen. Andere schwungvolle Details erinnern an die kühle Schönheit des Art-Deco. Die kühn aufragende Brücke schließlich beleiht die moderne Architektur eines Hans Scharoun – ein Baumeister, der sich bekanntlich seinerseits vom Schiffsbau inspirieren ließ.

Manchem Ingenieur mag das als verblasene Zukunftsmusik erscheinen. In Gestalterkreisen sieht man das schon anders: Das Labor-Modell des HYSWAS wird demnächst auf der International Design Conference in Aspen/Colorado präsentiert, wo sich erstmals die deutsche Designszene in Breite präsentieren darf.

Und auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten können sich die Vorschläge aus dem Bremerhavener Labor vorzeigen lassen, behauptet man dort. Neben der HYSWAS entwickelten die Designer zwei weitere Fähren, deren Fertigung – dank Modulbauweise und Serienproduktion – bis zu 40 Prozent günstiger sein soll als bei den handelsüblichen Fähren. Allein: Auf eine rasche Verwirklichung darf keines der Projekte hoffen.

Denn als Kooperationspartner dienten bisher vor allem die Werften der Region. Und die blicken bekanntlich eher ängstlich auf den Kassenstand der nächsten Woche als auf die Zukunft des Fährschiffbaus. Bei der Zusammenarbeit mit der Bremerhavener Werft Schichau-Seebeck habe man gar kurz vor Realisierung gestanden, heißt es seitens des Designlabor-Vorstandes. Aber dann habe das Unternehmen im Januar Vergleich angemeldet. Prompt erlahmte das Interesse.

Ein falscher Reflex, wie die Designer meinen. Gerade gestalterisch und konzeptionell innovative Projekte wie die des Design-Labors könnten doch eine Zukunftschance darstellen. Aber dazu sei nicht nur neues Design vonnöten: „Da ist auch betriebswirtschaftlich neues Denken erforderlich“, sagt Florian Fischer, der als einer von fünf namhaften Desigern im Vorstand sitzt und mit den Stipendiaten arbeitet. Etwas zugespitzt formuliert es Fischer so: „Wenn Schichau-Seebeck früher mit uns über Modelle zur Kostensenkung im Schiffbau gesprochen hätte, dann hätten sie den Vergleich gar nicht anmelden müssen.“

So aber bleibt die „Ideen-Börse“, als die sich das Labor versteht, praktisch ungenutzt. Nach der feierlichen Präsentation verschwinden die Modelle vorerst wieder. Und das gilt auch für die Stipendiaten selbst. Keiner hat bislang einen Job in der niedergehenden Region gefunden. Ihre neue Adressen heißen Amsterdam, Saarbrücken und Köln. Mit ihnen verschwindet auch ihr Talent und das Know-How, das sie sich während des Stipendiums angeeignet haben.

Für die kommende Saison hat das Labor denn auch bei anderen Unternehmen angeheuert, die mit Schiffen nichts zu tun haben. Für die Projekte der nächsten Stipendiaten verhandelt der Vorstand derzeit mit Eduscho, Atlas-Elektronik und der Bremer Raumfahrt-Industrie

Thomas Wolff