Staatlich geförderter Leerstand für Elite?

■ betr.: „Over – völlig losgelöst“, taz vom 23.4. 96

In den letzten Wochen wurden in Berlin vier besetzte Häuser geräumt. Zusätzlich zu diesen vier Häusern stehen allein im Bezirk Friedrichshain über 5.000 Wohnungen leer.

Trotz dieser offensichtlichen Unverschämtheit versuchen Herren wie Jörg Schönbohm verschiedene gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen. Plötzlich sind die Bewohner der 13 besetzten Häuser in Berlin dafür verantwortlich, daß kinderreiche und sozial schwache Familien trotz tausendfachen (!!!) Leerstandes keine bezahlbare Wohnung bekommen. Irgend etwas kann hier doch nicht stimmen. Statt sich darum zu kümmern, daß die leerstehenden Wohnungen in Berlin endlich an diejenigen vermietet werden, die diesen Wohnraum dringend brauchen, werden Unsummen für Räumungsaktionen ausgegeben, um noch weiteren Leerstand zu schaffen (allein der Wachschutz für ein geräumtes Haus kostet an einem Tag unglaubliche 10.000 Mark). Zeitgleich hat sich im Innensenat ein Kurs eingeschlichen, nach dem Berlin ganz klar als die neue Hauptstadt und damit als Wohnort von Tausenden StaatsbeamtInnen gehandelt wird. Saftige Mieteinnahmen sind hier garantiert. Luxussanierte Altbauten waren bei der Elite schon immer beliebt. Man muß nur dafür sorgen, daß die entsprechenden zahlungskräftigen Personen auch einziehen können; und dies ist (normalerweise) nicht möglich, solange noch jemand in dem „Objekt“, wie es in den entsprechenden Kreisen so schön heißt, wohnt. Ein Grund für tausendfachen staatlich geförderten Leerstand?

In Klein-Machnow, Herrn Schönbohms Heimatbezirk, geht es zur Zeit auch Nicht-Besetzern an den Kragen. Dank der freundlichen Unterstützung des Innensenats werden hier legale Mieter vertrieben und rechtmäßige Eigentümer enteignet, um ein Viertel mit angenehmem Ambiente für zahlungskräftige Kundschaft aus Bonn freizuräumen. Wer glaubt, es trifft nur HausbesetzerInnen, der irrt sich gewaltig.

Nein, Herr Schönbohm! Es wird nicht funktionieren, sozial schwache Gruppen gegeneinander auszuspielen, solange Sie als Sprecher des Spekulantentums auftreten. Das letzte Wahlergebnis in Ostberlin scheint Ihnen die Augen noch nicht geöffnet zu haben. Oder haben Sie sowieso vor, den Ostteil von potentiellen Protestwählern zu räumen? Bertram Gawronski