Banditenkönigin auf Wahlkampftournee

■ Phoolan Devi will ins Parlament: Sie steht für die agressiv aufstrebenden unteren Kasten

Unter den 5.000 KandidatInnen, die sich für das indische Parlament bewerben, befinden sich weniger Frauen als Banditen. Dies mag auf die kleine Anzahl weiblicher Kandidaten zurückzuführen sein, es zeigt aber auch, daß das Banditentum in einem armen Land wie Indien – gewaltloses Image hin oder her – immer noch reichlich Rekruten findet, meist zur Ausbeutung der Armen, selten zu ihrem Schutz. Phoolan Devi ist die einzige Kandidatin, die Frau und Banditin ist. Ihr Problem ist, daß sie im aggressiven Umfeld der indischen Politik als die Banditin fixiert bleibt, während ihr das Gegenbild – paradoxerweise ein männlich besetztes: Mahatma Gandhi – niemand abzunehmen bereit ist.

Als sie sich 1983 im Maquis den Behörden stellte, legte sie ihr Gewehr vor den Bildern Gandhis und der Göttin Durga nieder. Gandhi versprach sie Gewaltlosigkeit, bei Durga entschuldigte sie sich dafür, ihren Rachefeldzug aufzugeben. Doch nun, nach zwölf Jahren Haft, kann sie Durga wieder unter die Augen treten – eine weibliche Gandhi-Figur ist nicht gefragt.

Die Göttin Durga, wie Kali die weibliche Inkarnation von Aggression und Rache, war Phoolan Devis Leitbild gewesen, als sie mit ihrer Bande von „Dacoits“ in den Schluchten des Chambaltals Robin Hood und Racheengel gespielt hatte.

Als Kind war sie für den Brautpreis eines Fahrrads und einer Kuh an einen Witwer verkauft worden, weil der Vater zu arm war, um die Familie zu ernähren. Sie rannte ihrem Mann davon, und dieser hetzte eine Bande von Dacoits hinter ihr her. Doch einer von ihnen verliebte sich in sie, und aus der Gefangenen wurde eine Banditin. Aus dieser Zeit sind noch heute 49 Fälle gegen Phoolan Devi anhängig.

Jetzt hat sie ihre provisorische Freilassung aus Gesundheitsgründen genutzt, um sich auf ihre Art vor der drohenden Justiz zu schützen: Sie beschloß, Politikerin zu werden. Der Film „Bandit Queen“ schuf die nötige Publizität, und die sozialistische „Samajwadi Party“ bot ihr einen Sitz in Uttar Pradesh an, jenem Bundesstaat, in dem die meisten Fälle gegen sie anhängig sind. Der schwerste davon ereignete sich am 14. Februar 1981. An jenem Tag überfiel sie laut Anklageschrift das kleine Dorf Behmai, ließ alle 22 Männer zusammentreiben und erschießen. Ihr Verbrechen: Die oberkastigen Dorfbewohner hatten zwei Kastengenossen Unterschlupf gewährt, die kurz zuvor Phoolans Liebhaber Vikram Mallah ermordet hatten.

Ein Zug von Witwen rächt sich an Phoolan Devi

Doch die Rachegöttin Durga ist nicht ein Monopol Phoolan Devis. Vor einer Woche sind achtzehn Witwen aus Behmai nach New Delhi gereist, um sich für den Tod ihrer Männer zu rächen. Phoolan sollte wieder inhaftiert werden. Als das Oberste Gericht einen Entscheid darüber verschob, beschlossen die Frauen, selbst Racheengel zu spielen. Sie planen einen „Witwenzug“ nach Mirzapur und wollen dort Phoolan Devi auf der Spur bleiben. Wo immer sie auftritt, wollen auch sie auftreten. Während Phoolan in ihrem Wahlkampf versucht, sich als Opfer eines ungerechten Kastensystems darzustellen, werden die Witwen sie des Mordes anklagen.

Hinter beiden Positionen verstecken sich die alten Kastenkonflikte, die den indischen Frauen keine neuen Rollenmodelle bieten. Phoolan Devi wurde von männlichen Politikern als Kandidatin ausgewählt, weil sie die aggressive Qualität der nach oben strebenden unteren Kasten spiegelt. Und die Witwen wurden von oberkastigen Thakur-Politikern auf den Weg geschickt, um diese Aspirationen der „Mallahs“ in die Schranken zu weisen. Das einzig Tröstliche für die Frauen an diesen alten Mustern zeigt die Statistik: Noch immer sind es die Männer, die in diesen Konflikten sterben. Männer tötet man, Frauen macht man zu Witwen. Bernard Imhasly