■ Die Grünen müssen die Erfolge der Gentechnik endlich zur Kenntnis nehmen. Ihre Kritik muß pragmatischer werden
: Ohne ideologische Scheuklappen

Es wird für die Grünen Zeit, die Gentechnik neu zu bilanzieren. Vor zehn Jahren auf unseren Parteitagen in Hagen und Karlsruhe beschlossen wir den Computerboykott und ein Verbot der Gentechnik – kompromißlos. Methodenverbot selbst in der Forschung.

Die Computer kamen auch ohne und gegen die Grünen. Heute surfen alle im Internet. Auf dem Mainzer Parteitag jüngst haben wir unser Programm revidiert. Alle lachen über den Computerboykott von gestern. Die Partei verpflichtet sich jetzt zur virtuellen Vernetzung. Die Aussöhnung mit den Computern hat stattgefunden, auch wenn die Kritik der elektronischen Schnüffelei und des gläsernen Menschen von Bündnis 90/Die Grünen fortgeführt wird. Und die Gentechnik?

Die tatsächlichen Erfolge der Gentechnik nach zwanzig Jahren nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, zeugt von ideologischen Scheuklappen. Jüngstes Beispiel: Betaferon. Erstmalig kommt ein Medikament auf den Markt, was die Schübe bei Multipler Sklerose zum Stillstand bringt oder wenigstens verlangsamt. Es wäre zynisch gegenüber den Leidenden und politisch unklug, aus Prinzip am Verbot solcher Medikamente festzuhalten. Es wäre zynisch und kurzsichtig, die Schließung der zugrundeliegenden Forschungs- und Produktionseinrichtungen zu fordern.

Im Einzelfall mag die Kritik solcher Medikamente berechtigt bleiben. Aber nur weil im Prinzip die gentechnischen Methoden „unnatürlich“ sind oder angeblich naturfeindlich, dürfen wir unseren Mitmenschen die Hilfe nicht verweigern. Unbestritten bleibt es wichtig, daß wir Grünen Sicherheitslücken in Medikamenten, Gentechlabors oder Produktionsanlagen aufdecken. Nötig bleibt, daß wir gegen die gentherapeutischen Illusionen und realen Gefährdungen des Personals durch die benutzten Vektoren in der somatischen Gentherapie wettern. Unverzichtbar bleibt, daß unsere Partei der Nützlichkeitsethik (Bioethik), der Ideologie der genetischen Vorprogammierung (genetischer Determinismus) sowie den Bestrebungen zur Aufartung des Menschen weiter entgegentritt.

Wir müssen aber auch die positiven Seiten der Gentechnik zur Kenntnis nehmen – ob EPO, ob Faktor VIII, ob tPA, ob Kogenate, Neupogen, Novolin, ob Somatotropin oder Hepatitis-B-Impfstoff. Diese Präparate verkaufen sich weltweit mit Milliardenumsätzen, weil sie in der Medizin gebraucht werden. Die grüne Kritik der Gentechnik muß deshalb jetzt endlich pragmatischer werden. Die generelle Ablehnung muß durch pragmatische Entscheidungskriterien und Abwägungsprozesse ersetzt werden. Wir Grünen stehen nicht nur in der medizinischen Gentechnik auf dem Abstellgleis. Auch in der Biotechnologie rangieren wir im Aus. Ob bei modernen Nachweisverfahren, Biosensoren, enzymatischer Katalyse in der chemischen Industrie. Neun von zehn Waschmitteln enthalten heute Enzyme – zum Energiesparen beim Waschen, zum Fleckenfraß, zur Kuschelweiche. Die Enzyme stammen aus Bioreaktoren. Dort werden sie von Mikroorganismen en masse produziert. Inzwischen sind solche Produktionsstämme aus Rationalisierungsgründen genmanipuliert. In der Tendenz erhöhen diese genmanipulierten Stämme die Stoff- und die Energieeffizienz um den Faktor zehn.

Die Umwelt- und VerbraucherInnenverbände haben in den letzten zwei Jahren im Dialog mit der Waschmittelindustrie und Unilever die verbleibenden Risiken (Allergien, Freisetzungen, Verdrängung von enzymfreien Produkten) geprüft. Sie haben keinen dicken Hammer gefunden. Sorry.

Wir Grünen waren mal die Erfinder eines Programms der sanften Chemie. Biotechnologie und Enzymtechnologie sollten die Chlorchemie ablösen. Das war vor zehn Jahren. Aus der aktuellen Enzymdebatte wollten die dogmatischen Exponenten grüner Gentechnikkritik die bündnisgrüne Partei heraushalten. Aber wir dürfen nicht vor neuen Herausforderungen kneifen. Nach über einem Jahr Selbstblockade wird am 1. Juni in Bonn nun endlich die Enzymtagung stattfinden.

Zur Zeit gibt es in Deutschland 2.000 gentechnische Forschungsanlagen und 36 gewerbliche Anlagen. Zu Recht greifen wir Grünen die einseitige Betonung der Gentechnik in der Forschungspolitik und in der Auseinandersetzung um den Standort Deutschland an. Andere Methoden und Forschungsrichtungen werden vernachlässigt. Gentechnische Methoden sind heute allerdings ein wesentlicher Schlüssel zum Forschungserfolg in Medizin und Biologie geworden. In der Evolutionsforschung, in der ökologischen Forschung, in der Erforschung von Naturstoffen oder von Krankheiten.

Zwar gibt es die Seuchengefahr aus der Retorte. Jüngstes Beispiel: die vorzeitige Verschleppung einer ungebremsten Kaninchenseuche aus einem Forschungslabor in Australien. Die Farmer jubeln. Dies kann allerdings kein Grund zur Beruhigung sein, sondern muß als Plädoyer für höhere Sicherheitsvorkehrungen verstanden werden.

Gentechnische Methoden sind nicht nur erfolgreich, sondern machen die Forschung mit Krankheitserregern sicherer. Auch die nunmehr durch Gentechnik verfügbaren Schnelltests zur Identifikation exotischer Viren geben nicht nur mehr Sicherheit, sondern retten im Zweifelsfall menschliches Leben. Früher dauerten Tests auf Krankheitserreger wie Salmonellen oder Shigellen, auf Q-Fieber oder sonstige Krankheitserreger mehrere Tage. Vielfach waren die Ergebnisse unzuverlässig. Heute – dank der Gentechnik – werden selbst die Subtypen innerhalb von Stunden identifiziert.

Vor zehn Jahren beschlossen die Grünen mehrheitlich „den sofortigen Stopp für jegliche gentechnische Forschung“. Wie beim Computerboykott blieb dieser Beschluß wirkungslos, wenn es denn, wie jüngst in NRW, um ein Koalitionsprogramm ging. Hier müssen wir Grünen jetzt endlich realitätstüchtig werden. Die diversen gentechnischen Methoden müssen grundsätzlich als Instrumente der Forschung akzeptiert werden. Allerdings gilt es weiter, die Dominanz gentechnischer Fragestellungen zurückzudrängen und gentechnische Forschungen unter Sicherheitsgesichtspunkten kritisch zu evaluieren. Genforschung muß umfassenden Sicherheitsvorkehrungen und ethischen Grenzen unterworfen bleiben. Genforschung muß an begleitendes Umweltmonitoring, gründlichere arbeitsmedizinische Vorsorge und umfassendere Sicherheitsforschung gebunden werden. Hinsichtlich Gentechnik haben wir Grünen technologiepolitischen Diskurs statt Vorurteilspflege nötig. Manuel Kiper