: Kultur als Kundenfutter
■ Das riesige Design-Center mit Kulturinseln „stilwerk“ am Fischmarkt ist eröffnet
Hängt demnächst die Mona Lisa in den Galeries Lafayette, Dürers Hase bei Kaufhof in der Tierwarenabteilung und Warhols „Elektrischer Stuhl“ bei Brinkmann neben den Glühbirnenregalen? Wenn das Trend wird, was in Japan längst Usus ist und mit dem Konzept des Hamburger stilwerk auch in Deutschland Einzug hält, dann ist das die Zukunft. Denn das 20.000 Quadratmeter große Design-, Einrichtungs- und Bürokonglomerat in der alten Mälzerei beim Fischmarkt, das gestern seine Tore öffnete, hat dies Modell verkehrten Sponsorings jetzt vorbildlich gemacht.
Ausstellungen in den zwei neungeschossigen Atrien und in einem extra dafür eingerichteten Forum zu den Themen Design, Architektur, Literatur und „Stil- und Lebensfragen“ (Geschäftsführer Nils Jockel) sollen die Kunden locken. „Gekauft wird dann“, so Jockel in unverfänglicher Offenheit weiter, „früher oder später sowieso“.
Und dafür bietet das Haus 24 Geschäfte auf sechs Stockwerken (der Rest sind Büros), die alle ausgesuchten Namen aus der Welt teurer Einrichtungsetikette führen: Von Alessi bis Bang & Olufsen, von ligne roset bis Thonet, vom 30 cm hohen Beistelltisch für 2.000 Mark bis zu schicken Artikeln in der Ikea-Preisklasse (verspricht Jockel). Kultur wird also zum Kundenfutter, oder wie Jockel es ausdrückt, den die Mietergemeinschaft vom Museum für Kunst und Gewerbe ausgeliehen hat: „Hier kann die Kultur nur gedeihen, wenn der Handel floriert.“ Deswegen müssen auch externe Ausstellungsmacher, die mit ihren „Events“ hier Werbung fürs Haus machen, drastische Mieten zahlen. Ein Konzept, das sicherlich noch etwas überdacht werden will.
Dafür stimmt das Ambiente dieses nächsten Glieds in der Repräsentationskette am Hafenrand. Die 1910 errichtete Getreidefabrik gegenüber des Greenpeace-Speichers hat Architekt Klaus-Peter Lange im Stil der Backsteingotik „restauriert“, wobei die Gliederung durch die Neuschaffung großer Fensterflächen und neuer Simsgestaltung deutlich an Dramatik gewinnt.
Das Innere wurde bis auf einige alberne Demonstrationsreste wie halb abgebrochener Treppen komplett entkernt und in matter, grau-weißer Zurückhaltung vom Innenarchitekt Rolf Heide neu gestaltet. Zwei große Lichthöfe, Balkone, Stege und Gänge hinter einer alten Fensterfront schaffen ein angenehm abwechslungsreiches Raumgefühl. Das Ambiente eines Fabrikbaus wird hier allerdings mehr oder weniger komplett getilgt.
Ob der Komplex, der auch ein Cafe, eine Buchhandlung und einen „Presseclub“ beinhaltet, zur Revitalisierung des Hafenrandes beitragen kann oder ein weiterer Block in seiner Zerstörung durch reine Geschäftsinteressen wird, hängt nicht zuletzt von der kommenden Planung des Gebietes ab.
Ohne eine stärkere Vermischung von Lebens- Einkaufs- und Ar-beitsräumen droht dem Hafenrand das gleiche Schicksal wie den Londoner Docklands, die außerhalb der Stoßzeiten zu menschenleeren Architekturwüsten werden. Daß man im stilwerk das Problem kennt, aber lieber mit Schwindel verdrängt, zeigt eine Tafel im Paterre, auf der von Wohnstudios in diesem Komplex gesprochen wird, die es aber überhaupt nicht gibt. Im Speicher gegenüber möchte Investor Garbes aber wirklich Wohnungen errichten. Sagt er heute. Till Briegleb
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