Die Meßgeräte sind inzwischen eingemottet

■ Mangels Nachfrage hat die Unabhängige Strahlenmeßstelle vor zweieinhalb Jahren ihre Arbeit eingestellt. Die Zeitschrift „Strahlentelex“ besteht weiter

„Von frühmorgens bis tief in die Nacht haben wir gemessen, wir wurden richtig überrannt“, erinnert sich Thomas Dersee an die Anfangszeiten der Unabhängigen Strahlenmeßstelle. Das Mißtrauen gegenüber staatlichen Stellen saß tief, die Nachfrage nach unabhängigen Daten war groß. Auf Initiative der „Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung“ und mit Unterstützung des „Netzwerk Selbsthilfe“ wurde deshalb die Unabhängige Strahlenmeßstelle gegründet.

Ein Benefizkonzert mit Wolf Mahn und Udo Lindenberg in der Waldbühne sorgte für 100.000 Mark Startkapital. Im Dezember 1986 nahmen der Kerntechniker Bernd Lehmann, der Chemiker Peter Plieninger und der Ingenieur Thomas Dersee in der Wilsnacker Straße die Messungen auf. Für die besorgten VerbraucherInnen waren die im Strahlentelex veröffentlichten Meßergebnisse eine wichtige Entscheidungshilfe beim Einkaufen. Denn im Gegensatz zu den staatlichen Meßstellen, die nur die Becquerelwerte für „Milch aus Bayern“ nennen durften, konnten die unabhängigen Strahlenmesser die Werte mitsamt den Produktnamen veröffentlichen. Trotzdem half die staatliche Strahlenmeßstelle damals mit technischem Know-how, so Dersee. Bundesweit gründeten sich damals 40 Initiativen, die eigene Messungen durchführten. „Davon existiert heute nur noch eine Handvoll“, meint Dersee. Auch die Unabhängige Strahlenmeßstelle hat wegen des stark nachlassenden Interesses vor zweieinhalb Jahren ihre Arbeit eingestellt. Alle ein oder zwei Monate kam eine Anfrage, das stand in keinem Verhältnis zu dem hohen Aufwand. „So ein Strahlenmeßgerät kann man nicht einfach an- und abstellen“, erläutert Dersee. Um die Betriebstemperatur von minus 150 Grad Celsius zu erreichen, wird flüssiger Stickstoff verwendet. Eine Füllung, die für zwei Wochen reicht, kostet zwischen 200 und 300 Mark. Auch muß das Gerät nach jedem Ausschalten wieder geeicht werden, was ein bis zwei Tage dauert. Außerdem war der Betrieb bei Meßgebühren von 35 Mark und einer geringen Nachfrage längst nicht mehr kostendeckend. Aber Dersee will nicht darüber jammern, daß die Meßstelle überflüssig wurde. Erfreulicherweise ließen sich erhöhte Becquerelwerte zuletzt „nur“ noch in Pilzen, Waldbeeren, Wildbret und Süßwasserraubfischen feststellen.

Aktuelle Strahlenwerte veröffentlicht Thomas Dersee auch heute noch im Strahlentelex. Das monatlich erscheinende Blatt entwickelte sich mittlerweile zum Diskussionsforum über die Wirkung von Niedrigstrahlung, sei es durch Atomkraftwerke oder Röntgenaufnahmen, und verbreitet einen Elektrosmog-Report.

Eines der beiden Gammaspektrometer der Unabhängigen Meßstelle wird mittlerweile von Studenten in der TU genutzt, ein zweites Gerät hat ein Gründungsmitglied im Keller eingemottet. Im Falle eines Falles könnte es jederzeit wieder aktiviert werden. Dorothee Winden