Sacht knirschen Zähne

Ungewohntes Lob für Coach Kingston nach dem deutschen 5:1 gegen Kanada bei der Eishockey-WM  ■ Aus Wien Albert Hefele

An der Kreuzung Hütteldorferstraße – Neubaugürtel kennt man sich noch aus: Links geht es nach Prag und Brno, rechts Richtung Budapest. Man ist in Wien, ohne Zweifel. Zweihundert Meter weiter ist das nicht mehr so sicher, denn das Gelände um die Stadthalle ist bis mindestens Montag, zum letzten deutschen Vorrundenspiel, deutsches Hoheitsgebiet. Okkupiert von mehr oder weniger jungen Menschen in mehr oder weniger geschmackvoller Eishockeyverkleidung.

Wie ein Schwarm knallbunter Heuschrecken sind sie in die würdige Metropole an der Donau eingedrungen. Vielleicht nicht ganz so gefräßig, dafür wesentlich durstiger. Denn erstens war es warm in Wien und zweitens gab es eine Sensation zu feiern: den 5:1-Sieg über Kanada. Zwanzigfacher Weltmeister und immerhin Dritter der letzten WM. Fünf Tore gegen Martin Brodeur bedeuten nach den bisherigen Erfahrungen, daß die deutsche Mannschaft Chancen für gut das Doppelte gehabt haben muß. So ähnlich war es auch.

Obwohl diesmal der erste Treffer bereits nach einer Minute fiel, schienen die DEL-Profis wieder von der russischen bzw. amerikanischen Krankheit befallen zu sein. Die geht bekanntlich mit schwerwiegenden optischen Halluzinationen einher: Der Puck scheint riesengroß, und das gegnerische Tor klein wie ein Mauseloch zu sein. Und so wurde es nichts mit einer durchaus möglichen turmhohen Führung nach zwanzig Minuten. Obwohl die Spieler aus Düsseldorf, Köln, Berlin, Rosenheim, Augsburg, Landshut, Berlin, Schwenningen und Prag das wohl beste Drittel unter Coach George Kingston gespielt hatten. Knallhartes und doch kalkuliertes Forechecking. Eine Defensivarbeit, die schon früh im gegnerischen Verteidigungsdrittel ihren Anfang nahm und von einem bombensicheren Torwart Pepi Heiß abgesichert wurde. Schnelles und risikoreiches Umschalten in den Angriff, gepaart mit dem Versuch, kompromißlos den Torerfolg zu suchen.

Hört sich an wie eine sehr einfache Rechnung, die in den bisherigen Matches nur nicht aufging. Diesmal klappte es, denn mit zunehmender Spieldauer wurden die erarbeiteten Chancen auch in Tore umgemünzt. „Endlich der Lohn für sehr harte Arbeit“, sagte ein arg lädierter, aber sichtlich glücklicher Mark Mackay. „Nach den Spielen gegen Rußland und die USA waren wir ein bißchen traurig, denn schon da hatten wir alle Möglichkeiten, die Punkte zu behalten.“ So sind es statt der fünf, die in Reichweite waren, zwei geworden. Immerhin.

Immerhin und pikanterweise gegen die Mannschaft, mit der George Kingston in Italien 1994 Weltmeister wurde. Dabei fehlen 1996 allerdings die damaligen Superstars wie Bill Ranford, Joe Sakic, Luc Robitaille, Brendan Shanahan. Paul Kariya, der Top-Scorer von den Anaheim Mighty Drucks, war aber schon 94 im kanadischen Team und kann heute als Indiz dafür gelten, daß in Wien keineswegs nur NHL-Schrott auf dem Eis ist. Nicht gerade die Schmankerln von der Hockey- League-Karte, aber gute und solide Hausmannskost. Die sich für deutsche Mannschaften bisher meistens als völlig unverdaulich erwiesen hat. Diesmal nicht.

Diesmal spielte die mit Jan Benda (Slavia Prag) ergänzte DEL-Auswahl kanadischer als ihr Gegner und ließ diesen einigermaßen erstaunt und genervt zurück. So hatte man sich das nicht vorgestellt. Nach zwei Dritteln begannen große Teile des kanadischen Eissportpersonals im Geiste einzupacken. Sie hatten ob des energischen Engagements der deutschen Mannschaft erkennbar nicht mehr das Gefühl, das Spiel herumreißen zu können.

Sicher eine ganz besondere Genugtuung für George Kingston, der vor der Leistung seiner Mannschaft den Hut zog und selbst von allen Seiten gelobt wurde. Auch von denen, die ihn eigentlich lieber von hinten sehen würden. Und sich „einen deutschen Mann“ (Xaver Unsinn) an der Spitze des Nationalteams wünschen. Einen wie Hans Zach, der eigentlich schon auf den Koffern sitzt, um Kingston nach dem von den Fachleuten erwarteten frühen Ausscheiden zu ersetzen. Nach dem überraschend klaren Erfolg gegen die Kanadier blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn sachte zähneknirschend zu loben: „Tolles Coaching. Kingston hat die Blöcke etwas umbesetzt und so ein gleichmäßigeres Niveau hergestellt, das hilft Kräfte sparen.“ Heißt natürlich in der unausgesprochenen Klammer: „Hätte er auch schon früher machen können.“

Trotzdem – Begeisterung allerorten. Besonders bei den Fans, die endlich einmal Futter für ihre Eishockey-Großmachtphantasien bekamen und ihrer Leidenschaft für Riesenpolonaisen nachgehen konnten. Nicht wenige werden auf ihrem Bierdeckel schon das Erreichen der nächsten Runde errechnet haben. Mindestens ein Unentschieden gegen die Slowakei und natürlich die zwei Punkte gegen die Ösis stehen auf der Habenseite. Wann das Spiel gegen Österreich war? Noch gar nicht, es findet erst heute nachmittag statt.

Tabelle: 1. USA 4:0 Punkte; 2. Rußland 4:0; 3. Kanada 3:3; 4. Deutschland 2:4; 5. Slowakei 1:3; 6. Österreich 0:4

Gruppe B: Schweden - Frankreich 2:1 (1:1, 1:0, 0:0); Zuschauer: 1.100; Tore: 1:0 Modin (12.), 1:1 Bozon (20.), 2:1 Gustafsson (29.)

Norwegen - Tschechien 2:2 (1:1, 1:0, 0:1); Zuschauer: 500; Tore: 0:1 Kadlec (14.), 1:1 Knutsen (20.), 2:1 Knutsen (28.), 2:2 Stavjana (49.)

Tabelle: 1. Tschechien 5:1; 2. Italien 4:0; 3. Schweden 2:2; 4. Norwegen 2:4; 5. Finnland 1:3; 6. Frankreich 0:4

Gruppe A: Deutschland - Kanada 5:1 (1:0, 2:1, 2:0); Zuschauer: 4.500; Tore: 1:0 MacKay (0:29), 2:0 Banda (20:40), 3:0 Doucet (26:25), 3:1 Green (35:02), 4:1 Draisaitl (45:26), 5:1 Hecht (54:33)