Türkische Rechtskoalition in der Krise

Mit den Stimmen einiger Abgeordneter der Mutterlandspartei beschloß das Parlament, gegen die ehemalige Regierungschefin Tansu Çiller wegen Korruption zu ermitteln  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Noch nicht einmal zwei Monate ist es her, daß sich die „Partei des rechten Weges“ und die „Mutterlandspartei“ zur Bildung einer rechtskonservativen Regierung zusammengefunden haben – und schon ist eine ernste Krise ausgebrochen, die den Fortbestand der türkischen Regierungskoalition in Frage stellt. Grund war ein Antrag der islamistischen „Wohlfahrtspartei“, einen parlamentarischen Ermittlungsausschuß einzurichten. Der Ausschuß soll klären, ob die ehemalige Regierungschefin Tansu Çiller sich im Zusammenhang mit der Privatisierung der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft Tedas bereichert hat und Korruption im Spiel war.

Çiller wird vorgeworfen, durch Begünstigung verschiedener Firmen bei Projekten der Elektrizitätsgesellschaft den Staat um Millionenbeträge betrogen zu haben. In der türkischen Presse war umfassend über die Skandale in der Elektrizitätsgesellschaft berichtet worden. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Elektrizitätsgesellschaft, Mehmet Bozdemir, der im vergangenen Jahr des Amts enthoben wurde, hatte schwere Vorwürfe gegen Politiker erhoben. Ein führender Bürokrat wurde gar mit Waffen bedroht, um das gewünschte Abstimmungsergebnis zu erpressen. Bei den wichtigsten Ausschreibung intervenierte Çiller höchstpersönlich vom Sitz des Ministerpräsidenten. Çiller wird weiterhin vorgeworfen, sich bei der Privatisierung des Autoherstellers Tofas bereichert zu haben.

Çiller, die Vorsitzende der „Partei des rechten Weges“, sollte gemäß dem Rotationsprinzip, das die Koalitionspartner vereinbart hatten, Anfang Januar nächsten Jahres das Amt des Ministerpräsidenten von Mesut Yilmaz übernehmen.

232 Abgeordnete stimmten am Mittwoch abend für die Einrichtung des Ermittlungsausschusses, während sich 179 dagegen aussprachen. Çiller wertet die Entscheidung als einen Dolchstoß des Koalitionspartners – auch 32 Abgeordnete der Mutterlandspartei stimmten für den Antrag.

Zwei Monate hat der Ermittlungsausschuß jetzt Zeit, dann muß er dem Parlament einen Bericht vorlegen. Das Parlament kann dann beschließen, daß sich Çiller vor dem „Hohen Gericht“ verantworten muß. Das „Hohe Gericht“, in der Besetzung identisch mit dem Verfassungsgericht, ist eine Verfassungsinstitution, wo Politiker wegen Korruption und Bestechung verurteilt werden können. Mehrere Minister wurden in Vergangenheit zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Der parlamentarische Ermittlungsausschuß wird auch Vorwürfe gegen den ehemaligen Energieminister Sinasi Altiner klären.

Nach der Abstimmung sprach Çiller von einem „Komplott“ des Koalitionspartners, dessen Ziel die Zersetzung der „Partei des rechten Weges“ und eine Koalition mit der islamistischen „Wohlfahrtspartei“ unter Necmettin Erbakan sei. Die reguläre Kabinettssitzung mußte gestern ausfallen, weil Kabinettsmitglieder der „Partei des rechten Weges“ sie boykottierten. Der Abgeordnete Dogan Güres, Parteifreund Çillers und ehemaliger Generalstabschef, verfiel gar in die Sprache des Militärstrategen: „Unser Alliierter hat Verrat begangen und mit dem Feind kollaboriert. Er hat uns rücklings geschlagen. Wir müssen eine neue Strategie entwickeln.“