Weder Fisch noch Leder

■ Für Veganer sind sämtliche Tierprodukte tabu / Nicht die Gesundheit, sondern eher ethische Aspekte stehen im Vordergrund Von Volker Stahl

Seit drei Jahren verzichtet Christoph Voigt aus St. Pauli auf alle Tierprodukte und hat sogar seine alte Lederjacke an den Nagel gehängt. „Auch Kühe oder Schweine haben ein Recht auf Leben und gehören nicht auf unseren Speisezettel“, ereifert sich der gelernte Krankenpfleger. „Wir haben kein Recht, die Würde der Tiere anzutasten, wie es bei der Massentierhaltung geschieht.“

Für seine Überzeugung nimmt Voigt einiges in Kauf: Der 27jährige hat seine Ernährung radikal umgestellt und kocht jeden Tag selbst: „Bevor ich Veganer geworden bin, habe ich mich ein halbes Jahr ovo-lakto-vegetarisch ernährt (Eier und Milchprodukte erlaubt, d. Red.). Inzwischen fällt mir der Verzicht auch auf diese Lebensmittel nicht mehr schwer, reine Gewöhnungssache“, behauptet der Tierrechtler.

Katharin Titzck, Ernährungsberaterin bei der AOK Hamburg, sieht gesundheitliche Probleme auf den jungen Mann zukommen: „Die vegane Ernährungs-form kann zu Mangelerscheinungen führen, beispielsweise droht B 12-Mangel.“ Das Vitamin, so sagt sie, sei in rein pflanzlichen Nahrungsmitteln nicht enthalten. Und auch bei der Versorgung des Körpers mit hochwertigen Eiweißen befürchtet Titzck Schwierigkeiten. „Wer sich unbedingt vegan ernähren will, muß sich vorher genau informieren“, rät sie.

„Ich fühle mich topfit, seitdem ich meine Kost geändert habe“, hält Voigt dagegen. Das Vitamin B 12 sei außerdem in Sauerkraut und Hefeprodukten enthalten. Weitere Tips gegen Mangelernährung hat der Vegetarismus-Experte und Sachbuchautor Bernd Höcker (s. nebenstehenden Info-Kasten) parat. Er empfiehlt viel Gemüse, das fermentierte Sojaprodukt Tempeh, aus Lupinen hergestelltes mineralienreiches Lopino und – Weizenbier. Wer sich eine stramme Dosis B 12 per Flüssignahrung zugeführt hat, kann davon lange zehren. Das Vitamin wird bis zu zehn Jahre im Körper gespeichert.

Im Unterschied zu Vegetariern verzichten Veganer auf sämtliche tierischen Produkte: Sie essen keinen Fisch, meiden Käse, Milch und Honig und tragen weder Pelz- noch Ledermantel. Ursprünglich kommt der Begriff vegan aus dem Englischen. Der Neologismus ist von vegetarian (= Vegetarier, vegetarisch) abgeleitet und eine Radikalisierung der hinter dem Vegetarismus stehenden Weltanschauung. Für Veganer stehen eher ethische als gesundheitliche Aspekte im Vordergrund. Während viele Land-WG-Ökos sich noch regelmäßig über das selbstgeschlachtete Bio-Schwein hermachen, freut sich der Metropolen-Veganer, endlich eine gute Sorte Gummibärchen gefunden zu haben, die ohne Gelatine hergestellt wird.

Ersatzprodukte für Fleisch zu finden ist kein Problem. Aber wie sieht's bei Leder aus? Auf die schwarze Demokluft aus Tierhaut kann man zur Not verzichten, der lange Marsch in Gummistiefeln ist jedoch nicht zu empfehlen. Muß auch nicht sein, denn einige Firmen in England stellen Schuhe aus Kunststoffen her, die Ledertretern das Wasser reichen können. Das alternative Laufwerk ist fast genauso haltbar, atmungsaktiv, wetterfest und teuer. Und sogar umweltfreundlicher: Für die Produktion sind weder Massentierhaltung (Gülle, Me-than) noch Gerbungsprozeß (mit 60 bis 70 verschiedenen Chemikalien) erforderlich.

„Ich fand es schrecklich, daß Tiere für meine Bedürfnisse getötet werden“, meint die Pädagogik-Studentin Nina Wolff. Die 34jährige lebt seit vier Jahren vegan. Probleme hat sie höchstens im Urlaub in südeuropäischen Ländern: „Dort ist die Bevölkerung besonders stark auf Fleisch fixiert.“ Nudeln, Linsen, reichlich Gemüse, Kartoffeln und Brotaufstrich auf Sojabasis stehen auf ihrem Ernährungsplan. „In Hamburg kaufe ich viel in Ökoläden und Reformhaus. Das Gemüse hole ich vom Türken um die Ecke“, erzählt Nina Wolff.

Wer die Preise vergleicht und auf Angebote achtet, benötigt für vegane Ernährung nicht mehr Geld als notorische Fleisch- oder Käsefresser. Ein Beispiel: Die rein pflanzliche Margarine „Alsan S“ kostet in den meisten Ökoläden nur 1,30 Mark (250 g). Und vegane Brotaufstriche sind in den Reformhäusern kaum teurer als Eier- und Geflügelsalat beim SPAR-Laden nebenan. Wer allerdings auf Soja-Milch nicht verzichten will, berappt schlappe 3,50 Mark für den Liter.

In einem Land, in dem der Fleischverbrauch pro Kopf 61,9 Kilogramm im Jahr beträgt, stoßen die „Aasfraß“-Verächter noch oft auf Unverständnis. „Einige Arbeitskollegen schütteln nur den Kopf, wenn sie erfahren, daß ich Veganer bin. Die sind einfach überfordert, sich damit auseinandersetzen zu müssen“, beklagt sich Christoph Voigt. Aber er hofft, daß geschärftes Tierschutzbewußtsein und die steten Horrormeldungen über Schweinepest, Rinderwahnsinn oder hormonverseuchtes Kalbsfleisch bei immer mehr Menschen zum Umdenken führen.