Schutzraum Hamburg, für ein Jahr

■ Stiftung für politisch Verfolgte lädt jährlich fünf Menschenrechtler als Gäste nach Hamburg ein. Neue Sponsoren ermöglichen die Fortführung der Arbeit für weitere fünf Jahre Von Kay Dohnke

Ein Nachmittag in den Räumen des Ausländerbeauftragten: Senfo T. aus Kamerun, Chantal L. aus COte d'Ivoire, Mohamed G. und Mustapha N. aus Algerien planen eine Aktionswoche. Eine politische – denn sie sind Flüchtlinge, die in Hamburg vorübergehend sicheren Aufenthalt gefunden haben, und aus diesem Schutzraum heraus setzen sie sich für andere Verfolgte ein. Für Menschenrechte, deren Verweigerung ihnen selbst nur zu bekannt ist. Denn die Asylgesetze sind zur Abwehrbarriere geworden.

Aber Senfo und Chantal, Mustapha und Mohamed sind nicht als Asylsuchende, sondern als Stipendiaten der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte in die Bundesrepublik gekommen. Und darin berührt sich die Gegenwart doch noch mit deutscher Vergangenheit. Eingedenk der politischen Verfolgung seiner Familie regte der damalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi in den achtziger Jahren eine Stiftung an, die Menschen auf der Flucht eine Ruhezeit ermöglichen sollte: ein Jahr frei von Existenzängsten, Verfolgung und Unterdrückung.

Ausgestattet mit Geldern vom Senat und einer auf fünf Jahre begrenzten Anschubfinanzierung durch den „linken Mäzen“ Jan Philipp Reemtsma nahm die Stiftung 1987 ihre Arbeit auf. In den ersten vier Jahren konnten nur zwei Stipendiaten eingeladen werden – zu groß waren organisatorische und personelle Schwierigkeiten. Im März 1991 übernahm dann Martina Bäurle die Geschäftsführung der Stiftung, und inzwischen zeigt die Erfolgsbilanz beeindruckende Dynamik: 17 Einladungen wurden bisher ausgesprochen, elf Stipendiaten konnten tatsächlich nach Hamburg kommen. Vor allem bei politischen Aktivisten aus asiatischen Ländern läßt sich jedoch nur wenig erreichen: Ein Künstler aus Singapur wurde kurzerhand auf eine Insel verbannt, zwei Südkoreaner erhielten trotz intensiver Bemühungen von Bürgermeister Voscherau keine Reisepapiere. Widerstand nach Diktatorenart.

Potentieller Stiftungsgast ist, wer aufgrund des Einsatzes für Menschenrechte und Demokratie in Gefahr gerät. Die konkreten Einzelpersonen werden mit Hilfe von amnesty international, Hamburger Exilgruppen oder Kontaktleuten in den betreffenden Ländern ausgewählt. So kamen bisher neben anderen der kirgisische Lyriker Nisamettin Achmetow, der kurdische Anwalt Osman Aydin und ein ivoirischer Fernsehjournalist an die Elbe. Außer Intellektuellen hat die Stiftung auch die Situation von Gewerkschaftern oder Bauernaktivisten im Blick. Für mögliche Stipendiaten werden Dokumentationen zusammengestellt, nach mehrfacher Überprüfung – damit die Hilfe auch tatsächlich Bedrohten zugute kommt – dann Einladungen ausgesprochen.

Ausschlaggebend für die Vergabe von fünf Stipendien pro Jahr sind weder Quoten noch Länderschlüssel; die Entscheidung richtet sich nach dem Grad der Gefährdung. Lebensbedrohung wird dabei zum vorrangigen Handlungsanlaß, und mit Unbehagen merkt Martina Bäurle an, daß solche Fälle zurückstehen müssen, wo langjährige Haftstrafen oder „nur“ Berufsverbote drohen. „Es macht immer ein bißchen Bauchweh, weil man so Schicksal spielt – man würde gern mehr tun können.“

Motivierender sind da Erfolge, die aufgrund schneller Handlungsfähigkeit erzielt werden können und so die Feuerwehrfunktion der Stiftung zeigen: als im Dezember zwei Iranerinnen zwar die Flucht in die Türkei geglückt war, sie aber wieder abgeschoben zu werden drohten, konnte mit Unterstützung bis hinauf zum Außenministerium binnen zwei Wochen die Ausreise nach Hamburg ermöglicht werden. An der Schwelle zur europäischen Zollunion wollte die Türkei in gutem Licht dastehen, und derlei politische Großwetterlagen gilt es zu nutzen. Denn mindestens elf Fälle sind bekannt, in denen aus der Türkei zurückgeschobene Flüchtlinge im Iran hingerichtet wurden.

Große Bedeutung hat während der Zeit in Hamburg das Beisammensein mit der Familie. Ein algerischer Journalist, der sich in der Heimat lange verbergen mußte, kann erst hier wieder angstfrei und offen mit Frau und Kindern zusammenleben. Was besonders wichtig für Stipendiaten ist, die Folter überstehen mußten. Nach einem Jahr endet der Aufenthalt in Hamburg. Wer dann wegen anhängiger Verfahren oder verschlechterter Situation nicht heimkehren kann, stellt meist Asylantrag; andere fahren neu motiviert in ihr Land zurück, nehmen dort ihre politische Arbeit wieder auf.

So wenigen Verfolgten die Stiftung – in absoluten Zahlen gesehen – auch helfen kann; die Arbeit erweist sich als äußerst sinnvoll und effektiv. Als jedoch Reemtsma vor zwei Jahren wie geplant sein finanzielles Engagement auf andere Projekte konzentrierte, schien die Stiftung vor dem Aus zu stehen. Allein mit den Senatsgeldern konnten die Stipendiaten nicht versorgt werden, und eine letzte Sonderzuwendung durch den Mäzen war bald aufgebraucht. Im letzten Moment meldeten sich zwei neue Sponsoren, die für die nächsten fünf Jahre 150.000 Mark in die Kassen der Stiftung zahlen – jährlich. Ihre einzige Bedingung: Sie wollen ungenannt bleiben ...

Viele Gäste der Stiftung nutzen ihre Zeit in Hamburg für politische Arbeit, schreiben Bücher oder werden organisatorisch aktiv. Von Senfo T. wurde hier etwa SoS gegründet, Struggles of Students, eine inzwischen sehr erfolgreiche Menschenrechtsgruppe. Die von den Stipendiaten zusammen mit der Hamburger Gruppe der Organisation Reporter ohne Grenzen geplante Afrika-Aktion im Mai soll ihnen helfen, ihre Situation öffentlich zu machen und Solidarität zu wecken.

Und vielleicht wird so auch die Arbeit der Stiftung bekannter – moralische und finanzielle Unterstützung kann auch sie nämlich immer brauchen, denn selbstlose Sponsoren gibt es leider viel zu wenig.

Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, Osterbekstraße 96, 22083 Hamburg, Tel. 2984 – 3444