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Es ist einiges in Bewegung und ermutigend

■ Ralf Fücks (Die Grünen) über zehn Jahre probierten Ausstieg aus der Atomenergie

taz: Gibt es heute, zehn Jahre nach Tschernobyl, mehr oder weniger Atomstrom in Bremen?

Ralf Fücks: Es gibt immer noch die zehn Prozent Lieferung der Preag am gesamten Stromverbrauch Bremens für die unregelmäßigen Laststöße der Stahlwerke. Wieviel davon aus den Atomkraftwerken der Preag kommt, sieht man dem Strom nicht an.

Aber der Atomstrom-Anteil der Preag hat sich seit 1986 kaum verändert?

Nein. Meines Wissens liegt der immer noch bei circa siebzig Prozent.

Gleichzeitig ist der Stromverbrauch insgesamt gestiegen. In Bremen wird heute also etwas mehr Atomstrom verbraucht als vor Tschernobyl.

Das kann sein.

Aber genau weiß es keiner?

Ich halte auch die Fragestellung für müßig.

Warum? Weil Atomkraftwerke in Deutschland nicht so gefährlich sind wie in der Ukraine?

Nein, nein. Sondern weil es eine Illusion ist zu glauben, wir könnten uns ganz vom überregionalen Stromnetz abkoppeln. Auf einem anderen Blatt steht, was wir hier tun, um den Energieverbrauch zu reduzieren und auf ökologisch verträgliche Energieformen umzustellen – Wärmedämmung, Fernwärme, Blockheizkraftwerke, Weserkraftwerk, Windenergie, Sonnenkollektoren. Hier liegen unsere Handlungsmöglichkeiten.

Der direkte Kampf gegen die Atomenergie ist in Bremen nicht zu gewinnen?

Der Ausstieg aus der Atomenergie ist nur über den Bund möglich, nicht von einem Land, in dessen Grenzen gar kein Atomkraftwerk betrieben wird.

Tschernobyl hat in Bremen unmittelbar zwei Auswirkungen gehabt. Zum einen ist das neue Hastedter Blockheizkraftwerk gebaut worden anstatt mehr Strom von der Preag zuzukaufen. Zum anderen ist der Energiebeirat gegründet worden und hat den dann auch vom Senat übernommenen Vorschlag gemacht, bis zum Jahr 2005 30 Prozent des CO2-Ausstoßes in Bremen einzusparen. Wie weit sind wir bezogen auf dieses Ziel?

Das ist die Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Es gibt eine Zwischenbilanz der CO2-Reduktionsprogramme der letzten Jahre mit dem Ergebnis, daß die direkte Wirkung dieser Förderprogramme bei 65.000 Tonnen CO2-Einsparung im Jahr liegt. Das sind 0,6 Prozent des Bremer CO2-Kontos und wirkt winzig. Dazu kommen noch einige größere Projekte: die schrittweise Verwertung von Hüttengas bei der Stahlproduktion, mit der bis zu 400.000 Tonnen CO2 im Jahr vermieden werden können; der Fernwärmeausbau, der im Bremer Osten schon weit vorangetrieben wurde und jetzt im Bremer Westen bis zur Innenstadt fortgesetzt werden muß. Trotzdem war uns immer klar, daß ohne Veränderung der energiepolitischen Rahmenbedingungen alleine mit den Möglichkei-ten eines Stadtstaates das selbstgesetzte Ziel nicht erreicht werden kann. Das gilt auch für den Verkehrssektor.

Höchstens dann, wenn die Stahlwerke in Konkurs gehen...

Ja, die Stahlwerke stehen für 35 Prozent des gesamten Bremer Energieverbrauchs. Aber der Beschluß war ja nicht als ökologischer Morgentau-Plan gedacht, sondern als Anschub für die ökologische Modernisierung Bremens.

Vor zehn Jahren haben Sie selber auf der großen Bremer Tschernobyl-Demonstration geredet und die Energiewende gefordert. Vier Jahre waren Sie als Senator für die Bremer Energiepolitik verantwortlich. Da geht jetzt die Frage nochmal an Sie zurück: Ist das Glas in Bremen halb voll oder halb leer?

Gemessen an den Bremer Handlungsmöglichkeiten ist doch einiges in Bewegung gekommen – auch wenn es eine Kluft gibt zu den großen Herausforderungen dieser Atomkatastrophe und des Treibhauseffekts. Eine Niederlage haben wir mit dem Versuch erlitten, den Schrecken und die moralische Erschütterung von Tschernobyl in eine politische Offensive gegen die Atomindustrie umzumünzen.

Damals hat die SPD einen Parteitagsbeschluß gefaßt, innerhalb von zehn Jahren den Atomausstieg der Bundesrepublik herbeizuführen. Die Bürgerschaft hat 1986 beschlossen, alle Bestrebungen zu unterstützen, sich von der Atomenergie zu verabschieden. Dieser politische Impuls, der damals mächtig schien, ist versandet. Heute hebt die Atomlobby wieder das Haupt und die Bundes-Umweltministerin hält dummdreiste Reden pro Atomenergie.

Und wie lautet Ihre persönliche Antwort auf die Frage: Ist das nun ein Erfolg oder ein Mißerfolg?

Mit Blick auf den Atomausstiegist es eine Enttäuschung. Mit Blick auf die Entwicklung energiepolitischer und -technischer Alternativen hat sich in diesen zehn Jahren ein großes Potential an Know-How und praktischen Lösungen angesammelt, das mich dann doch wieder ermutigt, daß der Ausstieg aus der Atomenergie wieder in Reichweite kommen könnte. Argumentativ und emotional können wir heute vermitteln, daß es ökologisch und ökonomisch Alternativen zur Atomenergie gibt, ohne in die Falle der Klimakatastrophe zu geraten. Vor zwei Tagen war ich auf einer großen, zornigen Tschernobyl-Veranstaltung im Schulzentrum Holter Feld – für diese Jugendlichen ist die Anti-Atom-Haltung eine Selbstverständlichkeit. Das ist doch ermutigend!

Fragen: Dirk Asendorpf

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