Frauenpolitik nur als Fußnote

■ Im Fusionsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg spielt Gleichstellungspolitik keine Rolle. Doch nicht nur Politikerinnen haben geschlafen, auch die Frauen selbst haben sich zuwenig eingemischt

„Frauenbelange sind im Fusionsvertrag fahrlässig vernachlässigt worden“, kritisierte die bündnisgrüne Abgeordnete Ida Schillen bei einer Diskussionsveranstaltung des Berliner Frauenbundes. Während „vieles andere auf Punkt und Komma geregelt ist“, sei von Gleichstellungspolitik keine Rede.

„In der ersten Fassung des Fusionsvertrages wurde sogar vergessen, die Landesgleichstellungsgesetze in der Liste der Rechtsvorschriften aufzuführen, die nach einem Zusammenschluß von Berlin und Brandenburg angeglichen werden müssen“, bemängelte Petra Dobner. Die an der Universität Potsdam tätige Diplom-Politologin hat im Auftrag des Brandenburger Frauenministeriums den Fusionsvertrag analysiert.

Für die Versäumnisse machte Ida Schillen Frauenministerin Regine Hildebrandt und Frauensenatorin Christine Bergmann verantwortlich. „Aber auch die weibliche Öffentlichkeit hat geschlafen“, befand Petra Dobner. Anders als etwa die umweltpolitische Lobby hätten Feministinnen ihre Interessen nicht offensiv vertreten. Auch anderthalb Wochen vor der Abstimmung ist das Interesse an frauenpolitischen Gesichtspunkten der Ländervereinigung gering. Zu der Diskussionsrunde am Mittwochabend kamen gerade mal 21 Interessierte.

Welche Vor- oder Nachteile die Fusion den Frauen bringt, blieb an diesem Abend wenig greifbar. Wohl auch, weil sich das nur schwer abschätzen läßt. Im Mittelpunkt standen die Defizite des Fusionsvertrages. Gleichstellungspolitik kommt dort nur als Fußnote vor. In der Präambel wird die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Teilen eines gemeinsamen Landes als Ziel formuliert. Als Maßnahmen, wie dieses Ziel erreicht werden soll, werden zwar unter anderem Umweltschutz und Wirtschaftswachstum aufgezählt, nicht aber eine aktive Gleichstellungspolitik. Der mit dem Stichwort Gleichstellung überschriebene Artikel 59 ist lediglich eine technische Randbemerkung: „Die in diesem Vertrag verwendeten Funktions-, Status- und anderen Bezeichnungen gelten für Frauen und Männer.“ Dies soll nachträglich korrigieren, daß der gesamte Staatsvertrag nur die männliche Form verwendet. Als „kabarettistischen Paragraphen“ bezeichnete dies die Brandenburger Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), Susanne Melior.

Frauenpolitische Themen hätten bei den Verhandlungen keine Rolle gespielt, weil der Interessensausgleich zwischen den beiden Ländern im Vordergrund gestanden hätte, erklärte Dr. Gisela Rüß, Mitarbeiterin der brandenburgischen Staatskanzlei. Die Brandenburger Verhandlungsdelegation hätte im Fusionsvertrag vor allem die Dinge festschreiben wollen, um deren Bestand sie nach der Fusion fürchteten. Um die Fortführung der Gleichstellungspolitik habe man sich keine Sorgen gemacht, so Rüß. Auf Betreiben der Bündnisgrünen besserte das Abgeordnetenhauses im September 1995 mit der Verpflichtung nach, sich für eine aktive Gleichstellungspolitik einzusetzen.

Auch wenn alle mit der frauenpolitischen Leerstelle im Fusionsvertrag unzufrieden waren, plädierte an diesem Abend nur Ida Schillen dafür, mit Nein zu stimmen. Die Berliner AsF-Vorsitzende Anna Damrat spach sich wie ihre Brandenburger Kollegin Melior trotz der Defizite für die Fusion aus. „Die Chance für den Erhalt von Arbeitsplätzen ist mit der Fusion größer“, argumentierte Damrat. Doch Schillen hält die Versprechungen vom Wirtschaftsaufschwung, der der Fusion folgen werde, für „unseriös“.

Um zukünftig eine stärkere Beteiligung von Frauen am Fusionsprozeß sicherzustellen, forderte Damrat, die – zuvor gescholtenen – Frauenministerin und -senatorin in die Vereinigungskommission aufzunehmen. Bislang sind dort nur die Querschnittsressorts vertreten. Petra Dobner schlug darüber hinaus vor, einen feministischen thinktank zu gründen, der die Landesregierungen nicht nur in frauenpolitischen Fragen berät. Dorothee Winden

Zum Thema Frauen und Fusion diskutieren am Montag, den 29. April um 18 Uhr Justizsenatorin Peschel-Gutzeit, Sozialsenatorin Hübner und der FDP-Landesvorsitzende Matz im Schadow-Haus, Schadowstraße 10/11 in Mitte