Kapitale Lektüre

■ Marx und kein Ende: Die Lesekurse sind immer noch recht beliebt

Wir befinden uns im Jahre 1996 nach Christus. Karl Marx ist tot... Tot? Nein! Unbeugsame Studierende an einem Universitätsinstitut im Herzen Berlins hören nicht auf, das „Kapital“ zu lesen. In Lektürekursen am Institut für Soziologie (IfS) werden die drei Bände des „Kapital“ in fünf Semestern durchgearbeitet. „Pro Semester fangen 20 bis 25 Leute an“, sagt Uwe Vorberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IfS und Koordinator der Kurse, die vom normalen Lehrbetrieb unabhängig sind und von TutorInnen geleitet werden.

Der späte Beginn um 19 Uhr hat Tradition: Einst wurde abends mit dem Studium des „Kapital“ angefangen, damit auch das ausgebeutete Proletariat die „Bewegungsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft“ studieren konnte. Teilnehmer aus der arbeitenden Bevölkerung sind heute Mangelware. „Die meisten sind Soziologiestudis, ein Drittel kommt aus anderen Fachbereichen“, sagt Vorberg. „Kapital“-Kurse gibt es seit Ende der sechziger Jahre: „Damals wurde Marx an vielen Instituten gelesen. Wir sind die Übriggebliebenen.“

„Hier hat man die Chance, ein ganzes theoretisches Werk in der Gruppe durchzuarbeiten und nicht immer nur kurze Aufsätze zu einem Thema“, sagt Matthias Hinze, Student der Soziologie und gestandener „Kapital“-Kursteilnehmer. „Außerdem entsteht ein mehrere Semester dauernder Arbeitszusammenhang. So etwas gibt es sonst an der Uni nicht mehr.“

Das „Kapital“ genau zu kennen, habe sich für manchen schon bar ausgezahlt, sagt Vorberg: „Ich kenne ehemalige Kursteilnehmer, die heute keine Revolutionäre, sondern erfolgreiche Unternehmensberater sind.“ Volker Wartmann

Mittwochs um 19 Uhr am Institut für Soziologie der FU, Babelsberger Straße 14–16, 10715 Berlin