"Wir brauchen ein Land"

■ Sollte es zu einer Fusion von Berlin und Brandenburg kommen, was bedeutet das für die Hochschulen? Eine Kommission soll ein einheitliches Konzept entwickeln

HochschulpolitikSommersemester 1996

„Wir brauchen ein Land“

Sollte es zu einer Fusion von Berlin und Brandenburg kommen, was bedeutet das für die Hochschulen? Eine Kommission soll ein einheitliches Konzept entwickeln

Wenn sich am 5. Mai die Berliner und Brandenburger für eine Länderfusion entscheiden, wird in den Wochen darauf zum erstenmal die gemeinsame Hochschulstrukturkommission zusammentreten. Ihr Präsident wird Dieter Simon, Oberhaupt der Akademie der Wissenschaften. Die Namen der anderen Experten stehen noch nicht fest. „Sie sollen in jedem Fall landesfremde Professoren, Beamte oder Wirtschaftler sein“, kündigt die Sprecherin der Berliner Wissenschaftsverwaltung, Kerstin Schneider, an. „Auch die Hochschulen werden in die Entscheidungen einbezogen“, ergänzt ihr Amtskollege aus Brandenburg, Martin Gorholt.

Das Gremium soll eine gemeinsame Hochschullandschaft entwickeln, von der noch keiner weiß, wie sie aussehen wird. Auch eine Werbebroschüre für die Fusion mit dem Titel „99 Fragen und Antworten“ kann nicht weiterhelfen. Die Antwort auf Frage 86 nach den anvisierten Studienplatzzahlen trifft zum Beispiel auf Berliner Seite längst nicht mehr zu.

Der Senat will nur noch 85.000 Studienplätze in Berlin, nicht mehr 100.000, wie noch im Fusionvertrag festgelegt. Für mehr Studenten fehlt das Geld. Schon jetzt ist die Ausstattung der Universitäten nicht ausreichend. An der Technischen Universität (TU) zum Beispiel erhitzen Biochemiestudenten ihr Reagenzglas mit einem Feuerzeug, weil es keine Mittel für neue Bunsenbrenner gibt.

Oberstes Ziel von Wissenschaftssenator Peter Radunski ist die Bestandssicherung. „Für große Visionen ist in unserer finanziellen Lage kein Platz“, sagt seine Sprecherin Schneider. Aber für Träume: Wenn die Regierung nach Berlin zieht, so hofft man, kommen auch Wirtschaft und Forschung in die Stadt zurück. Dann könne sich Berlin einen Ausbau der Studienplätze mit Drittmitteln leisten.

Während die Stadt abbaut, investiert Brandenburg bis zum Jahr 2004 zwei Milliarden Mark in den Ausbau seiner Hochschulen. 21.000 Studenten mehr sollen aufgenommen werden. „Wir haben jetzt schon 80 Prozent des benötigten Personals“, sagt Gorholt. Nur an geeigneten Räumen mangele es noch. Dabei will die märkische Landesregierung Fachhochschulen besonders fördern. „Denn dieser Bereich ist in Berlin weniger stark ausgebaut. Wir brauchen ein gemeinsames Land“, meint Gorholt, „damit nicht wieder so unsinnige Entscheidungen wie die Schließung des Landwirtschaftsbereichs an der Humboldt-Universität entstehen.“ Das Institut in Köpenick bildet zum großen Teil auch für Brandenburg aus. Im Falle einer Fusion, wird Potsdam die Landwirtschaftsfakultät mitfinanzieren.

Ein Grund für Ingeburg Grittner, für die Länderehe zu stimmen. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin steigt jeden morgen gegen fünf Uhr fünfundzwanzig in Marquardt, nordwestlich von Potsdam, in den Bus Richtung Berlin. Zwei Stunden braucht sie bis zu ihrem Institut in Köpenick. In Brandenburg fand sie keine Arbeit. Wie sie pendeln täglich Dozenten, Professoren und etwa fünftausend Studenten zwischen Berlin und Brandenburg. In einem gemeinsamen Land wird der Nahverkehr nach Potsdam verlagert. Das hofft zumindest Ingeburg Grittner.

Auch die Abstimmung unter den Universitäten soll in einem vereinten Land besser werden. Bereits heute arbeitet die Freie Universität (FU) mit der Universität Potsdam eng zusammen. Gezielt wollen sie in den Naturwissenschaften unterschiedliche Profile entwickeln.

Doch noch ist für Berlin-Brandenburg vieles ungewiß. Was wird aus Tutoriumsverträgen, die in Berlin gelten? Wie werden Verwaltungsangestellte eingruppiert? Wie schnell werden die Prüfungsinhalte angeglichen? Fragen, die die Hochschulkommission erst nach einem Ja oder Nein zur Fusion klären muß.

Am 29. April tauschen Berlins Senator Peter Radunski und sein Brandenburger Amtskollege Peter Mayer für einen Tag das Amt. Sollte es am 5. Mai nicht für eine Länderfusion reichen – an einer gemeinsamen Hochschulplanung wollen die Regierungen dennoch festhalten. Nur ein Problem bleibt auch dann: In Brandenburg soll auf- und in Berlin abgebaut werden. Der märkische Pressesprecher Martin Gorholt wischt die Bedenken vom Tisch: „Hauptsache, es bewegt sich was.“ Torsten Teichmann

Berlin baut ab,

Brandenburg investiert in den Ausbau der Hochschulen