Bittere Wahrheiten

■ Deutschlands größte Universitätsstadt auf Sparkurs: Studiengänge werden gestrichen, Studienplätze abgebaut

Stell dir vor, du kommst aus den Semesterferien und dein Institut ist weg! Während die Studenten jobbten und sich in den Alpen sonnten, verordnete der Berliner Senat den Unis einen rigorosen Sparkurs: Bis 1999 wird der Wissenschaftsetat von 3,7 auf 3,2 Milliarden Mark gekürzt. Allein in diesem Jahr sollen rund 196 Millionen Mark weniger für die Hochschulen ausgegeben werden.

Dabei stoßen Diepgen und Co. in ganz neue Tabuzonen vor: Sie schaffen Studiengänge ab und bitten die Studierenden zur Kasse. Ab dem Wintersemester sind hundert Mark Gebühren fällig. Das Geld wird offiziell für das Einschreiben kassiert, ist aber nichts anderes als eine Studiengebühr. Das bringt pro Jahr zwölf Millionen Mark, die direkt im Berliner Sparstrumpf verschwinden. Aber bei diesen hundert Mark wird es vermutlich nicht bleiben, denn die neue Gebühr kann an die Preisentwicklung angepaßt werden. Und davon will der neue Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Peter Radunski (CDU), auch Gebrauch machen. Als Neuling noch unbefleckt von den Zweifeln seiner Kultusministerkollegen hat er damit den Einstieg ins bezahlte Studium genommen.

Die Regierenden der Stadt exekutierten im kalten März die Vereinbarungen der Koalitionsgespräche (siehe Sparchronik). Damit erreichten sie in wenigen Wochen vieles, was sie zuvor jahrelang vergeblich versucht hatten:

– Der Berliner Senat kann in Zukunft legal Studiengänge aufheben.

– Die Zahl der Studienplätze sinkt auf 85.000.

– Die Universitäten kommen unter das Dach einer gemeinsamen Finanzkommission, in der die Politik den Stichentscheid hat.

– Die Studiengänge Zahnmedizin (FU), Pharmazie (HUB) und Romanistik (TU) werden geschlossen, sobald die letzten Studierenden ausgebildet sind.

Diese Einsparungen beschloß das Abgeordnetenhaus im Zuge der Haushaltssanierung, denn die neue Finanzsenatorin, Anette Fugmann-Heesing (SPD), hatte kurz nach ihrem Amtsantritt ein Defizit von 5,3 Milliarden Mark aufgedeckt. Die Ausgaben Berlins, rund 45 Milliarden Mark, mußten um mehr als zehn Prozent gesenkt werden. Der Wissenschaftsbereich wurde dabei nicht überproportional zur Ader gelassen; er schrumpft 1996 um 3,3 Prozent.

Andere gesellschaftliche Gruppen haben nicht weniger verloren: Die BVG-Sozialkarte entfällt künftig. Eltern müssen höhere Kitagebühren sowie die Schulbücher aus eigener Tasche bezahlen – trotz Lehrmittelfreiheit.

Auch die Bezirke müssen in gesetzlich garantierte Sozialleistungen der Bürger eingreifen, wenn sie ihren Sparbeitrag (rund eine Milliarde Mark) erbringen wollen.

Die Berliner Universitäten kritisieren aber vor allem das Haushaltsstrukturgesetz. So hält die Präsidentin der Humboldt-Universität, Marlis Dürkop, die beschlossenen Abwicklungen für rechtswidrig. Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch die LandesAstenkonferenz: „Mit dem Beschluß wird ein Verfahren verabschiedet und zugleich angewandt, was ohne Frage widerrechtlich ist.“ Der auf Hochschulrecht spezialisierte Anwalt Frank Lansnicker bestätigte, daß vorgenommene Schließungen der „Vollzug eines nicht vorhandenen Gesetzes sind“. Inzwischen haben FU, HUB und Bündnisgrüne deswegen Klage vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof eingereicht.

„Sie sparen uns kaputt“, warf der Präsident der Freien Universität den Abgeordneten vor. Johann Gerlach formulierte damit den zweiten wesentlichen Kritikpunkt am Sparpaket: die Unmöglichkeit, 196 Millionen Mark aus den laufenden Haushalten zu streichen. Das zwinge die Universitäten, ihren eigenen Nachwuchs zu strangulieren. Denn solch hohe Summen sind auf die Schnelle nur zu erbringen, wenn die Universitäten befristete Stellen einsparen. Das aber sind: wissenschaftliche Mitarbeiter, Tutoren und wissenschaftlche Hilfskräfte. Kurz: die personelle Zukunft der Hochschulen und des Landes.

„Der Berliner Senat“, resümierte der Rektor der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft, Rainer Knigge, „hat Abschied von jeglicher rationalen Bildungspolitik genommen.“ Christian Füller