Ökonomische Kurswende

■ Die alternativen Wirtschafts-Weisen stellen das „Memorandum '96“ vor

Bremen (taz) – Zum Tag der Arbeit hat die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik ihr 21. Jahresmemorandum vorgelegt. Der Titel „Memorandum '96“ faßt das über 200 Seiten umfassende Alternativprogramm zur Wirtschaftspolitik zusammen: „Gegen kapitalorientierte Standortdebatte und Zeitdiktat bei der Europäischen Währungsunion: Arbeitsplätze – ökologischer Umbau – soziale Sicherung“.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich seit Anfang 1995 auf einer sich beschleunigenden Talfahrt. Die Ursachen sind größtenteils hausgemacht: Die Einsparungen im Sozialsystem haben gigantische Nachfrageausfälle zur Folge. Zinssenkungen kamen zu spät und zu zögerlich, um gegenzusteuern. Hinzu kommt das Diktat des Maastrichter Vertrags, die Verschuldung drastisch zu deckeln. So wird die EU zu einer ökonomischen Depressionsgemeinschaft.

Der Sozialabbau löst zudem endgültig den Zusammenbruch des sozialen Risikoausgleichs gegenüber der brutalen Wettbewerbswirtschaft aus. Mit dieser Politik die Arbeitslosigkeit bekämpfen zu wollen entpuppt sich als Vorwand. Es geht letztlich um die Ausnutzung der Arbeitslosigkeit für eine Umverteilung der unternehmerischen Gewinnwirtschaft. Denn schon die bisherigen Maßnahmen zur Senkung von Unternehmenssteuern sowie die Zurückdrängung des Anteils der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen haben bekanntermaßen nicht ansatzweise zum Abbau der Arbeitslosigkeit geführt. Im Gegenteil, zusätzliche Unternehmensgewinne werden in den Abbau von Arbeitsplätzen durch Rationalisierung fließen.

Eine Kurswende ist dringend erforderlich. Zuallererst muß der Abwärtsbewegung entgegengewirkt werden. Die konjunkturbedingten Schulden in den öffentlichen Kassen müssen hingenommen werden. Allerdings läßt sich mit klassischer Wachstumspolitik die Arbeitslosigkeit nicht abbauen. Mit dem ökologischen Umbau der Wirtschaft aber würden sich mehr Arbeitsplätze schaffen lassen als dadurch verlorengehen. Die Beschäftigung in neuen Formen sozialer und kultureller Dienstleistungen muß aufgebaut werden. Ohne deutliche Schritte zur Arbeitszeitverkürzung wird die Arbeitslosigkeit jedoch nicht zu reduzieren sein. Rudolf Hickel

Der Autor ist Professor für Wirtschaftswissenschaft in Bremen und Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik