Nicht das Drastische trägt

■ Ausdrucksstark eher im Stillen: Johann Kresniks Pasolini-Projekt im Schauspielhaus

Den Umweg wählte Johann Kresnik, um sich in Pasolini. Testament des Körpers seinem Vorbild Pier Paolo Pasolini (1922-1975) zu nähern; die Brechung durch eine Romangestalt des Romanciers und Filmers: den Carlo aus Petrolio, Pasolinis erst 1992 veröffentlichtem Roman-Torso.

Die Vita violenta dieser Figur erinnert allerdings eher an Mars, jene andere von Kresnik umgesetzte Biographie zwischen hineingeborenem Reichtum, gewaltvoller Verformung und schließlicher Anpassung oder – vergeblicher – Auflehnung. Mit Pasolinis Leben hat diese Sozialisation nicht viel zu tun, nichts mit seiner Befreiung aus dem ländlich-kleinbürgerlichen, militärischen Umfeld der friaulischen Heimat, die Probleme der ständigen Selbstbehauptung des Außenseiters angesichts von Partei und herrschender Meinung.

26 Bilder weit verfolgt Kresnik den Werdegang des zweigeteilten Carlo (Bernd Grawert als der sich dynamisch Einpassende, der Verführte, und Roland Renner als Schmerzensgestalt im Widerstreit, als Unterlegener, als Märtyrer des Geschliffenwerdens). Das Reichensöhnchen wird dabei zum angepaßten Erben und kippt in schizophrene Dopplung, und immer wieder findet Kresnik starke, einleuchtende Bilder für die Themen Pasolinis: die Macht der Väter, der Klassen, der Sexualität und die alles zerstörende Macht des Konsums. Dem Werk kommt er dabei näher als der Gestalt des Künstlers, der – gespielt von Matthias Fuchs – Randfigur bleibt. Das Problem Kresniks wie des Abends ist nicht die Annäherung an die schriftstellerische Seite, an die Ideen, die Demagogik Pasolinis, die schlüssig gelingt. Problematisch ist die Annäherung an die Schreckenswelt seines letzten Films Salò oder die 120 Tage von Sodom, die nur zum draufgeklebten Bürgerschreck wird und Szenen entwertet, die genial beginnen. Wie wunderbar, wenn Josef Ostendorf als Vaterfigur sich pompös und lächerlich zum Kleinkind zurückverwandelt in dem Moment, in dem er die Macht an den Sohn gegeben hat. Doch weder die längst vielzitierte Scheiße, die den zweiten Teil des Bilds beherrscht, noch die – andern- orts – verteilte Spucke fügen wirklich Zwingendes hinzu. Die Reminiszenz zeigt hier nur den Vorteil des Films vor dem Theater – und das ist schade, bei diesem grandiosen Ensemble. Stark ist Kresnik immer dann, wenn er dem Gehalt der eigenen Bilder traut und sie ganz auslotet, wenn der Bühnenraum Gottfried Helnweins sich nach hinten ins Schwarz öffnet und das Geschehen auf kippenden Flächen die Qualität eines überdeutlichen Traums erreicht. Und stark ist das magische Schlußbild, wenn die Wiederholung eines Gedichtes das murmelnde Publikum zum ersten Mal wirklich verunsichert.

Thomas Plaichinger