Tod durch Zahnstocher

■ Die Bremer Achilla-Presse legt Sherwood Andersons Short stories vor / Buchvorstellung heute im Café Ambiente

Wie weit der Weg über den Ozean doch sein kann. 55 Jahre nach dem Tod des amerikanischen Schriftstellers Sherwood Anderson sind seine Texte in seiner Heimat in etwa 45 Bänden erhältlich. Gedichte, Romane, Essays, Autobiographien, Reportagen und zahllose Briefe. Am wichtigsten jedoch: seine Geschichten. Denn in der Entwicklung der amerikanischen Literaturgeschichte beginnt mit Sherwood Andersons Kurzgeschichten das moderne Erzählen.

In Deutschland hingegen kennt man von Anderson im wesentlichen das Suhrkamp-Bändchen „Winesburg Ohio“, seine berühmteste Sammlung, die ein Portrait der Kleinstadt aus unterschiedlichen Perspektiven zeigt. Der Bremer Verlag Achilla-Presse ist angetreten diesen Zustand zu beenden. Mittlerweile ist mit „Von Pferden und Männern“ der zweite Band der Edition erschienen. Am Montag wird er im Cafe Ambiente von Jürgen Dierking vorgestellt, der sich seit Jahren als Entdecker und Übersetzer für Anderson engagiert und nun auch Herausgeber ist.

Schon William Faulkner erklärte: „Ich glaube, daß Sherwood Anderson der Vater aller meiner Arbeiten ist, der Vater der Werke von Hemingway, Fitzgerald, von uns allen und noch nicht die Anerkennung gefunden hat, die er verdient und eines Tages finden wird.“ Nie war der Zeitpunkt günstiger. „Pferde und Menschen“ erschien 1923 im Original und mehr als 70 Jahre später in Deutschland. Es ist Andersons dritte Sammlung von Kurzgeschichten. Die neun Erzählungen der Sammlung sind so angeordnet, daß bäuerlich-landwirtschaftliche und großstädtisch-massengesellschaftliche Hintergründe einander abwechseln. „Ein Unterton von Verzweiflung grundiert diese Arbeiten, die sich dem Erfolgsstreben wie dem Männlichkeitswahn ihrer Zeit gleich entschieden verweigern,“ schreibt Jürgen Dierking und greift damit einen der interessantesten Aspekte aus Andersons Werk heraus. Denn obgleich der Schriftsteller sich zu dem Satz verstieg: „Ich wage es frei heraus, mich zu dem amerikanischen Mann schlechthin zu erklären“, ist Sherwood Anderson nichts weniger als ein typischer amerikanischer Mann seiner Zeit.

1876 geboren, war er erst Zeitungs- und Stalljunge, Land- und Fabrikarbeiter, Anstreicher, Student und Soldat, bevor er zu schreiben begann. Seine literarischen Neigungen sollten ihn in den nächsten Jahren in Konflikte stürzen. Anderson hatte sich schon als geachteter Familienvater und erfolgreicher Geschäftsmann für Lacke in Elyria, Ohio etabliert. Doch ein Nervenzusammenbruch zwang ihn zur Entscheidung. Anderson entschloß sich gegen die bürgerliche Karriere und für die Schriftstellerei. 1919 erscheint „Winesburg, Ohio“ jene „Gruppe von Erzählungen über das Kleinstadtleben in Ohio“, die als Klassiker der modernen Kurzgeschichte bis heute seinen Ruhm begründet. Später der Roman „Poor White“ (1921), die Erzählungssammlung „The Triumph of the Egg“ und der Roman „Many Marriages“ . Der letzte Titel hat etwas Prophetisches, denn Anderson sollte dreimal geschieden werden bis er endlich mit seiner letzten Frau, der Sozialarbeiterin und YMCA-Funktionärin Eleanor Copenhaver glücklich wurde. So kompliziert sein Leben war, so tragikomisch muß sein Tod erscheinen. Anderson starb an einem Zahnstocher. Er verschluckte das Hölzchen, das in einer Olive in einem seiner vielen Martinis steckte. Das war bei der Abfahrt in New York, als das Schiff nach Südamerika ablegte. Das Hölzchen perforierte ihm die Magenwand und am 8. 3. 1941 starb Anderson in Colon, Panama. rau

Buchvorstellung heute, um 20 Uhr, im Cafe Ambiente.