Im Kittchen ist kein Zimmer mehr frei

Die Haftanstalten sind überbelegt: Höchststand mit 4.420 Gefangenen erreicht. Justizverwaltung warnt vor „gefährlicher Situation“. Peschel-Gutzeit: „Wir sehen dem nicht tatenlos zu“  ■ Von Barbara Bollwahn

Die Anzahl der Inhaftierten in den Berliner Justizvollzugsanstalten hat einen Höchststand erreicht. Vorige Woche zählte die Senatsverwaltung für Justiz in den sieben Knästen 4.420 Gefangene. Zur Verfügung stehen aber nur 4.366 Plätze. „Alle Bereiche im Männervollzug sind voll bis überfüllt“, sagte Abteilungsleiter Christoph Flügge zur taz. „Das ist besorgniserregend.“

Besonders betroffen sind die Justizvollzugsanstalten Moabit und Tegel. Um die derzeit über 1.600 Gefangenen in der JVA Tegel mit ihren 1.518 Plätzen unterzubringen, werden zusätzliche Betten in die Zellen gestellt. Auch Personalräume wurden bereits zu Zellen umfunktioniert. Als „drastisch“ bezeichnet Flügge die Überfüllung der Jugendstrafanstalt Plötzensee mit ihren 388 Plätzen. Derzeit sitzen dort 427 Jugendliche ein.

Neu ist, daß auch der offene Vollzug mit seinen 770 Plätzen mit derzeit 855 Gefangenen überfüllt ist. Vor zwei Jahren gab es noch freie Plätze. So ist derzeit der offene Männervollzug in Hakenfelde, der über 207 Plätze verfügt, mit 245 Gefangenen belegt. „Das macht uns Sorgen“, so Flügge.

Der Abteilungsleiter sieht in der derzeitigen Überbelegung eine „ausgesprochen gefährliche Situation“, die „Unzufriedenheit und Gewaltbereitschaft“ fördere. Geiselnahmen wie in anderen Bundesländern, von denen Berlin bisher verschont geblieben ist, hätten oftmals ihre Ursachen in überfüllten Gefängnissen.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Strafgefangenen kontinuierlich angestiegen. War 1990 mit 2.828 Inhaftierten der niedrigste Stand in Westberlin zu verzeichnen, war die Zahl 1993 bereits auf 3.917 gestiegen. Justiz-Abteilungsleiter Flügge geht angesichts dieser Entwicklung davon aus, daß die Anzahl der Gefangenen auf 4.800 steigen wird. Vor diesem Hintergrund sei die Einsparung von etwa 230 Stellen im Vollzug problematisch.

Von den derzeit 4.420 Gefangenen befindet sich fast ein Viertel in Untersuchungshaft. Im Vergleich zu den Vorjahren ist diese Zahl jedoch leicht rückläufig.

Eine Verbesserung der Unterbringung der Inhaftierten ist derzeit kaum in Sicht. Geplante Neubauprojekte wie die Haftanstalt in Pankow-Heinersdorf und das Vollzugskrankenhaus Buch sind wegen der desolaten Haushaltslage vorerst auf Eis gelegt. Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) ist schon froh, Gelder für die Weiterführung der Planungen bewilligt bekommen zu haben.

Bei begonnenen Projekten ist die Fertigstellung äußerst schwierig. So könnte sich beispielsweise die begonnene Grundsanierung und Erweiterung des ehemaligen Stasigefängnisses Lichtenberg zum geschlossenen Vollzug für drogenabhängige Frauen verzögern. Von der Fertigstellung hängt ab, ob das in den Koalitionsvereinbarungen festgeschriebene Modellprojekt mit Spritzenautomaten realisiert werden kann. Einzig in der Einweihung der Jugenduntersuchungshaftanstalt Kieferngrund (80 Plätze) Ende des Jahres gibt es keine Probleme. Geldgeber ist ein privater Investor.

Auch Justizsenatorin Peschel- Gutzeit nimmt die derzeitige Überbelegung „sehr ernst“: „Wir sehen dem Anstieg nicht tatenlos zu“, so die Senatorin. So bringe die für Mitte nächsten Jahres geplante Fertigstellung des Neubaus im offenen Männervollzug Hakenfelde fünfzig bis einhundert zusätzliche Plätze. Dreihundert weitere Plätze für den offenen Männervollzug erhofft sich die Justizsenatorin aus der für Anfang nächsten Jahres geplanten Verlegung der Frauen aus der unterbelegten Frauenhaftanstalt Plötzensee auf zwei offene und zwei geschlossene Anstalten. Barbara Bollwahn