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Der Mauerficker

Forcierte Bewältigungskomik: Die Bühnenfassung von Thomas Brussigs „Helden wie wir“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin  ■ Von Petra Kohse

Die Weichen waren auf Erfolg gestellt. Schließlich drängt Thomas Brussigs allseits belobigter Wende- Roman „Helden wie wir“ ja schon von sich aus auf die Bühne. Wie der Ich-Erzähler Klaus Uhltzscht hier voll pointensicherer Naivität den DDR-Alltag beim Wort nimmt, ist als flächendeckendes Entkrampfungsmanöver angelegt, das ganz entschieden nach Öffentlichkeit verlangt. Wo Gesellschaft so lange als verschworene Gemeinschaft(en) funktionierte, ist es schließlich als Grundrecht anzusehen, bei einem Wer-zuletzt-lacht- Anlaß nicht allein zu sein.

Und wo ließe sich über all das besser lachen als im Staatstheater der deutschen Hauptstadt? Und wie angemessen ist es doch, daß Peter Dehler den Roman dramatisiert und mit Götz Schubert inszeniert hat! Der kabaretterprobte Regisseur und Autor des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin und der ehemalige Jungstar des Berliner Maxim- Gorki-Theaters, der seit seinem Wechsel ins Deutsche Theater vor zweieinhalb Jahren in der dortigen Herrenriege fast untergegangen ist – zwei Außenseiter, wenn man so will, aber mit Erfahrung und wie der Autor so um die Dreißig.

Die Aufführung hätte also nie stattfinden müssen und wäre trotzdem schon als Idee ein Highlight im Spielplan des nicht gerade erfolgsverwöhnten Deutschen Theaters gewesen. Nun war vorgestern aber tatsächlich Premiere, und es wurde ein richtiger und echter Erfolg, der das erwartbare Maß bei weitem übertraf. In durchgeschwitztem Hemd nahm Götz Schubert am Ende wahre Ovationen entgegen, an der rechten Hand den Regisseur (kräftiger Typ mit listigem Blick), an der linken den Autor (blaß, mit schwarzer Lederjacke). Und mußte immer wieder kommen und raste aus glücklicher Verlegenheit noch einmal über die Bühnenaufbauten und nahm den gesamten Stab dann noch mal einzeln mit nach vorn.

Dabei hatte sich am Anfang des Abends erst mal herausgestellt, daß der schöne Inszenierungsplan auch ein beträchtliches Handicap hat: Denn wer das Buch bereits gelesen hat, die Pointen also schon kennt und sie auch nicht mit der eigenen Erfahrung erneut lustvoll abgleichen kann, kann sich am reinen Text doch nur gedämpft erfreuen.

Aber immerhin hat Dehler den zuweilen doch sehr länglichen Roman effektbewußt zusammengestrichen. Und dann ist da ja auch noch Götz Schubert als Klaus Uhltzscht, und es gibt ein angenehm simples Bühnenbild von Ulv Jakobsen aus Schwerin, das Schubert handhabt, als gehöre es zu seinem Kostüm. Wenn er in seinem grünbräunlichen Anzug auf dem Boden kauert, schließt die grünbräunliche Bemalung der hinteren Wand genau mit seinem Kragenrand ab, und das Gesicht verschwindet in der beigen Fläche darüber. Klaus Uhltzscht, der Kauerer. (Kauern wir eine Weile und lauern.)

Die hintere Wand wirkt übrigens trabiartig wie aus Pappmaché, ist aber begehbar, eine leicht ansteigende rechte Wand gibt es auch, und links führt eine Treppe zu einem kleinen Plateau mit vier Pfosten, das aussieht wie ein Galgenplatz. Hier ist der Ort für alles Peinlich-Peinigende, Unhygienische im Leben des Klaus Uhltzscht: das Badezimmer.

Klaus Uhltzscht ist ja nicht nur mit seinem Namen geschlagen, sondern auch mit einem Stasi-Vater, der ihn verachtet und einer hyperhygienischen Mutter als totaler Kontrollinstanz. Und Klaus Uhltzscht verlebt eine verklemmte Kindheit, eine qualvolle Pubertät, in der er seiner Dauererektion mit Unfallphantasien beikommen muß und eine freudlose Ausbildung – natürlich! – bei der Stasi. Was ihn so leidlich aufrechterhält ist einzig die Gewißheit, in geheimer Mission irgendwann ins kapitalistische Ausland geschickt zu werden und als Vollender der sozialistischen Revolution in die Geschichtsbücher einzugehen.

Es kommt dazwischen: der Herbst 1989. Und es kommt dazwischen: ein Unfall auf dem Alexanderplatz. Kurz nachdem er die Rede von Christa Wolf mit der der Eislauftrainerin Jutta Müller verwechselt hat, stolpert Uhltzscht über ein Demoschild an einem Besenstiel, rammt sich selbiges in die Eier und erwacht im Krankenhaus, wo aus seinem Winzschwanz plötzlich ein Riesenpimmel geworden ist. Auf dem Weg, diejenigen damit herauszufordern, die ihn bislang beim Duschen verlacht haben, gerät er am 9. November an den Grenzübergang Bornholmer Straße, wo „Wir sind das Volk“-Volk dumpf brütet. Er läßt die Hosen runter – und auf ist die Mauer.

In der Euphorie, wenn im zu kurz Gekommenen endlich berechtigter Größenwahn erwacht, ist Götz Schubert am besten. Da pumpt er sich mit Text auf als wär's ein Stück von ihm, lacht ein katzendreckiges Lachen und sprengt fast die Bühne, in deren Winkeln und Durchgängen er sich zuvor oft genug versteckt hat. Ganz kalkulierter Chargeur ist Schubert aber auch als Unsicherbold, der sich schon ertappt fühlt, wenn er ein Verbotsschild nur sieht: Mit gebeugtem Rücken schlurft er einher, spricht mit gequetscht-schnarrender Stimme, knetet die Hände und dreht die Knöpfe seines unfrohen Gewandes.

Aber Schubert kann noch mehr. Den Wechsel zwischen Mehrpersonenspiel- und Erzählszenen bekommt er elegant und immer neu komisch hin, lallt sächsisch und knarzt berlinisch, hastet treppauf und treppab, schwoft mit einem Stuhl und schont sich auch sonst nicht. Als der große Blonde mit dem naiven Gemüt stolpert Schubert sicheren Schritts zwischen Expressionismus und Slapstick herum und erfindet immer dann eine Nuance, wenn man glaubt, es nun allmählich aber satt zu haben.

Dehler und Schubert haben nicht den Hauch von psychologisierendem Interesse. Was in der Strichfassung steht wird eins zu eins umgesetzt in immer neue Posen der Ängstlichkeit und der erneuten Selbstermutigung. Eine tour de farce, die in Sachen ostdeutscher Bewältigungskomik dicht am Text bleibt, aber doch – und das ist der Trick! – auch ganz allgemein von der höheren Sinnsuche des Rädchens im Räderwerk erzählt.

„Helden wie wir“ von Thomas Brussig. Bühnenfassung und Regie: Peter Dehler, Bühne: Ulv Jakobsen. Mit: Götz Schubert. Nächste Aufführungen: 5. und 7. Mai, jeweils 19.30 Uhr

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