„Wir sind keine Raketen feuernden Irren“

■ Hisbollah-Sprecher Naif Karayyen über das Waffenstillstandsabkommen mit Israel

taz: Kam der Waffenstillstand für die Hisbollah unerwartet?

Naif Karayyen: Die Israelis waren nicht in der Lage, dem Widerstand schwere Schäden beizubringen. Sie wollten einen Keil zwischen die Widerstandsgruppen und das Volk, zwischen den Widerstand und die libanesische Regierung treiben. Das hat nicht funktioniert. Direkt können sie die Hisbollah nicht treffen. Wir sind Guerillakämpfer. Wir haben keine Kasernen oder Stellungen, die man genau ausmachen kann. Hisbollah ist Volkswiderstand. Der ist nicht so leicht zu treffen und zu vernichten. Weil sie ihre Ziele nicht erreichten, mußten die Israelis nach einer Lösung suchen, um die Aktion zu beenden.

Also war die Strategie der Hisbollah erfolgreich?

Wir haben keinen Grund, uns zu brüsten. Wir können nicht sagen, daß unsere Strategie Erfolg hatte. Sie hat Erfolg, wenn wir die Besatzung abgeworfen haben. Es gibt keinen Grund, sich zu freuen. Viele Zivilisten haben ihr Leben verloren. Natürlich sind wir zufrieden, daß wir den Feind nicht agieren ließen, wie er wollte.

Die Israelis nennen ihre Angriffe eine Vergeltungsmaßnahme für die Angriffe der Hisbollah.

Wir greifen nicht an, wir reagieren nur auf die Aggression. Unsere Zivilisten werden angegriffen, und wir müssen sie verteidigen. Wir sind die Folge, nicht die Ursache. Die eigentliche Ursache der Krise ist die israelische Besetzung des Südlibanon. Vor der israelischen Invasion des Libanon im Jahr 1982 gab es keine Hisbollah.

Wie steht die Hisbollah zu diesem Waffenstillstand?

Wir wollten einen Waffenstillstand, sobald wie möglich. Wir sind keine Katjuscha-Raketen feuernden Irren, die schießen, um zu schießen. Im Widerstand gegen die Besetzung des Südlibanon haben wir die Katjuschas nicht ein einziges Mal eingesetzt. Wir haben erst damit angefangen, als die Israelis direkt auf unsere Zivilisten schossen. Der Waffenstillstand ist ein Triumph für das Volk. Letztlich, was haben die Katjuschas in Israel angerichtet, außer Angst zu verbreiten? Sie können Israel nicht zerstören, und das wissen wir.

Bedeutet das Waffenstillstandsabkommen das Ende des Widerstands?

Nein, absolut nicht. Solange es diese Besetzung gibt, werden wir dagegen kämpfen. Beendet sind nur – hoffentlich – die Kriegshandlungen gegen unsere Zivilisten.

Die Kämpfe werden also nur in der besetzten Zone weitergehen?

Ja, so lange, bis wir das Land befreit haben.

Unter welchen Bedingungen würde die Hisbollah über einen Friedensschluß verhandeln?

Frieden braucht eine solide und gerechte Grundlage. Dieser sogenannte Friedensprozeß im Nahen Osten gesteht nicht allen Parteien ihre Rechte zu. Was wird mit den fünf Millionen palästinensischen Flüchtlingen geschehen?

Wie könnte die Grundlage für einen gerechten Frieden aussehen?

Wir sind nicht gegen das jüdische Volk. Wir sind bereit, mit den Juden brüderlich zusammenzuleben. Wir sind gegen die Zionisten und gegen israelische Verschwörungen. Wenn Ideale und Werte auf Feindseligkeit beruhen, auf Expansionismus, nationaler Überheblichkeit und Arroganz, dann kann man nicht miteinander in Frieden leben. Wir sind bereit. Aber sind sie bereit, ihre expansionistischen Pläne aufzugeben? Ich glaube nicht. Wenn sie wirklich Frieden wollen, warum lassen sie nicht die fünf Millionen Palästinenser zurück nach Palästina. Das wäre ein Zeichen des guten Willens. Die Zionisten widersprechen sich selbst. Während sie Gedenkfeiern für die Opfer des Holocaust abhielten, richteten sie in Kana ein Massaker an. Interview: Michael Gaebel, Beirut