Rückkehr in die vom Krieg zerstörte Heimat

■ 400.000 Menschen sind vor den israelischen Angriffen aus dem Süden Libanons geflohen. Seit dem Waffenstillstand machen sie sich auf den Heimweg in ihre Häuser

Beirut (taz) – Als Libanons Regierungschef Rafik Hariri den Waffenstillstandsbeschluß zwischen Israel und der Hisbollah bekanntgab, war in Beirut Erleichterung, aber kaum Überraschung zu spüren. Optimistische Stimmen hatten bereits in der vergangenen Woche eine baldige Waffenruhe prophezeit, ohne allerdings triftige Gründe für diese Hoffnung nennen zu können.

Noch wenige Minuten bevor am Samstag um 4.00 Uhr Ortszeit das Abkommen in Kraft trat, flog die israelische Luftwaffe Angriffe im Süden Libanons, und die Hisbollah feuerte Katjuscha-Raketen auf Nordisrael. Laut US-amerikanischen Angaben sieht das am Freitag geschlossene Waffenstillstandsabkommen folgendes vor:

– Bewaffnete Gruppen im Libanon werden Israel weder mit Katjuscha-Raketen noch mit anderen Waffen angreifen.

– Israel und seine Verbündeten werden nicht auf zivile Ziele oder Zivilisten im Libanon schießen.

– Beide Seiten garantieren, daß Zivilisten unter keinen Umständen Ziele von Angriffen werden und von Zivilisten bewohnte Gebiete sowie Industrie- und Energieversorgungsanlagen nicht als Ausgangspunkte für Angriffe genutzt werden.

– Die Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung gilt nicht als Verstoß der Übereinkunft.

Die Einhaltung soll durch Beobachter aus den USA, Frankreich, Syrien, Libanon und Israel observiert werden. Jedoch wird die Vereinbarung in Israel und dem Libanon sehr unterschiedlich interpretiert. In Jerusalem geht man davon aus, daß die libanesische Armee die Unversehrtheit der von Israel okkupierten „Sicherheitszone“ im Süden Libanons garantiert. Die libanesische Regierung betrachtet dagegen den Widerstand gegen die Besatzung als legitim, wird also nichts tun, um Militäraktionen der Hisbollah in der Zone zu unterbinden.

Fast zeitgleich mit der Verkündung des Abkommens forderte Libanons schiitischer Parlamentspräsident Nabih Berri die Flüchtlinge auf, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Viele der etwa 400.000 Vertriebenen machten sich bereits in den frühen Morgenstunden auf den Weg zurück in den Süden oder in die Beka'a-Ebene. Für den Rücktransport von Flüchtlingen, die nicht über eigene Autos verfügen, werden Armeefahrzeuge eingesetzt. Die Ausfallstraßen von Beirut waren gestern teilweise völlig überlastet. Die Situation wird erschwert, weil die israelische Marine die Küstenstraße von Beirut nach Sidon beschossen und schwer beschädigt hatte.

Sofort nach Beginn des Waffenstillstandes begannen die Aufräumarbeiten. An vielen Orten sind Strom- und Wasserversorgung unterbrochen. Notleitungen werden gezogen und Straßen und Häuser notdürftig repariert. Bis zu 45.000 israelische Geschosse sollen nach libanesischen Angaben in 17 Tagen über dem Land niedergegangen sein. Bilanz: etwa 200 Tote und über 350 Verletzte. Libanesische Experten schätzen den Schaden durch Zerstörung und die Schädigung der libanesischen Wirtschaft auf rund eine Milliarde US-Dollar. Michael Gaebel