Marsch gegen die Atomkraft

■ Rund 30.000 Leute protestierten allein bei den fünf Hauptveranstaltungen. In Gundremmingen wurden 56 Leute festgenommen, die Schotter abtragen wollten

Biblis/München/Krümmel/Berlin (taz) – An fünf Atomstandorten in Deutschland gab es am Samstag Massendemos. Allein hier waren rund 30.000 Leute beteiligt. „51 Jahre Erfahrung mit der atomaren Vernichtungstechnik sind genug“, hieß es in der Abschlußerklärung in Biblis, Krümmel, Ahaus, Magdeburg und München. Zugleich fanden an etwa 50 anderen Orten Veranstaltungen zum 10. Jahrestag von Tschernobyl statt.

Biblis

Rund 5.000 AtomkraftgegnerInnen versammelten sich vorgestern in Biblis und protestierten gegen den Weiterbetrieb der beiden RWE-Pannenreaktoren Biblis A und B. Bündnisgrüne, Jungsozialisten, Naturfreunde, Mitglieder des BUND und diverser Bürgerinitiativen, Autonome und AtomkraftgegnerInnen ohne Organisationsnachweis zogen vom Marktplatz in Biblis zu den rund vier Kilometer von der Gemeinde entfernt am Rhein stehenden Reaktoren. Es war ein friedlicher, bunter Umzug, der von den „Frauen und Müttern aus Biblis“ in weißen Schutzanzügen angeführt wurde.

Auf dem von Polizei und BGS bewachten Betriebsgelände dann eine Provokation der „Belegschaft des KKW“. Auf Transparenten stand: „Eure Rente ist sicher – wir arbeiten weiter!“ oder: „Wer nachts an Gleisen rumhantiert, tagsüber dann noch demonstriert, Plakate klebt, Parolen schreit, dem bleibt für Arbeit keine Zeit.“ Eduard Bernhard vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) konterte empört, den Verstrahlten in der Ukraine und Weißrußland bleibe keine Zeit mehr zum Plakatemalen.

Krümmel

Vor dem AKW Krümmel demonstrierten am Samstag rund 2.000 Menschen friedlich gegen Atomkraft und Castor-Transporte sowie für die sofortige Stillegung des „Leukämiereaktors“. Der Siedewasserreaktor steht bei Medizinern und Strahlenforschern im Verdacht, Ursache der gehäuften Krebsfälle in der Elbmarsch zu sein: Pünktlich zum zehnten Tschernobyl-Jahrestag meldeten die Betreiber in der vergangenen Woche erneut einen Brennelementeschaden; für die Reparaturarbeiten wird das AKW am 1. Mai vorübergehend abgeschaltet.

Magdeburg

Auch hier marschierten mehrere tausend Leute in Gedenken an Tschernobyl und gegen „die wilde Kippe im Osten“ – Greifswald und Morsleben. Rosemarie Poldrack von der BI Greifswald forderte die „sofortige Stillegung aller Atomanlagen“. 50 Trecker aus dem benachbarten Wendland begleiteten den Demozug.

Bayern

Rund 7.000 AtomkraftgegnerInnen protestierten in München gegen den Forschungsreaktor München II in Garching. Obwohl die Demos friedlich verliefen, wurden mindestens sieben AKW-Gegner vorläufig festgenommen, darunter Mitglieder der Mahnwache Gundremmingen, die für die Aktion „Ausrangiert“ am Sonntag Flugblätter verteilten. Als der Bundestagsabgeordnete Gerald Häfner (Bündnis 90/Die Grünen) zwei Mahnwache-Mitglieder begleiten wollte, wurde er von zwei Polizisten in Zivil recht ruppig daran gehindert. „Das war brutal, die haben ihm richtig den Daumen ausgekugelt“, berichtet Volker Nick von der Mahnwache. Häfner mußte sich in einer Schwabinger Klinik behandeln lassen.

Bei strömendem Regen demonstrierten am Sonntag rund 500 AtomkraftgegnerInnen auf den Schienen vor dem größten deutschen AKW in Gundremmingen. Beobachtet wurden sie dabei von mehreren hundert Polizisten. Bei der Aktion „Ausrangiert“ versuchten Demonstranten, Schienen zu lockern und Schotter vom Schienenbett zu räumen. Der bayerische Innenminister Beckstein hatte diese Aktion im Vorfeld schon als Gewaltakt kritisiert und ein scharfes Eingreifen der Polizei angekündigt. Von den 200 TeilnehmerInnen wurden bis Redaktionsschluß 56 festgenommen. Klaus-Peter Klingelschmitt/ Heike Haarhoff/ Klaus Wittmann