Versagte Polizei im Fall Reemtsma?

■ Entführter Millionär nach 33 Tagen frei. Vermittler erhebt schwere Vorwürfe gegen Sonderkommission

Hamburg (taz/dpa) – Nach dem glücklichen Ende des spektakulären Entführungsdramas um den Hamburger Multimillionär Jan Philipp Reemtsma (43) hat die Polizei die Jagd auf die Kidnapper eröffnet. Am Sonntag nachmittag gab es noch keine heiße Spur von den mindestens drei Gangstern, die den Erben der Hamburger Zigarettendynastie am 25. März vor seinem Haus entführt hatten. Eine Sonderkommission sucht die Entführer, die mit dem Rekordlösegeld von 30 Millionen Mark auf der Flucht sind.

Schwere Vorwürfe gegen die Sonderkommission erhebt der Hamburger Pastor Christian Arndt. Für Arndt, der von Reemtsma gebeten worden war, an der Polizei vorbei die Übergabe des Lösegeldes zu organisieren, hat deren Vorgehen „das Leben von Reemtsma gefährdet“. Reemtsma habe in einem Brief an ihn die Polizei für das Scheitern der beiden ersten Geldübergaben verantwortlich gemacht. Denn die Entführer, die ausdrücklich gefordert hatten, die Polizei aus dem Spiel zu lassen, hätten gemerkt, daß die Fahnder mit dem ersten Geldüberbringer eng zusammengearbeitet hatten und auch bei den Geldübergaben in der Nähe gewesen waren. Als die Kidnapper am 15. April mit dem Pastor Kontakt aufgenommen hätten, sei Arndt sofort klar gewesen: „Der einzige Gegner ist die Polizei.“ Nach zwei gescheiterten Geldübergaben hatte Reemtsmas Frau Ann Kathrin Scherer die Polizei aufgefordert, sich im Hintergrund zu halten.

Reemtsma war nach 33 Tagen Gefangenschaft in einem Kellerverlies am Freitag kurz vor Mitternacht in Maschen bei Hamburg freigelassen worden. Rund 40 Stunden zuvor war bei Krefeld die Übergabe der 30 Millionen Mark Lösegeld gelungen. Die Öffentlichkeit erfuhr erst nach der Freilassung Reemtsmas von der Entführung, weil eine Nachrichtensperre verhängt worden war. Die Täter hatten gedroht, ihr Opfer zu töten, wenn Polizei oder Medien eingeschaltet würden. Wenige Stunden nach seiner Freilassung verließ Reemtsma, der die Gefangenschaft offenbar gut überstanden hat, Deutschland, um dem einsetzenden Medienspektakel zu entkommen.

Nach den Ermittlungen der Soko 962 hatten zwei maskierte Gangster Reemtsma am Abend des 25. März bei seinem Haus in Hamburg-Blankenese überwältigt, gefesselt und ihm Mund und Augen verklebt. Die Täter brachten ihr Opfer in einem Lieferwagen fort.

Hinweise erhoffen sich die Fahnder vor allem von dem Tonbandmitschnitt eines Erpresseranrufes. Obwohl die Täter mit Reemtsma und untereinander Englisch sprachen, gehen die Ermittler davon aus, daß zumindest zwei der Kidnapper Deutsche sind. Das haben offenbar erste Sprachanalysen von Tonbandmitschnitten der Erpresseranrufe ergeben. Spuren könnten aber auch die Täter selbst mit dem rund 50 Kilo schweren Lösegeld legen. Nach Andeutungen aus dem Hamburger Landeskriminalamt sind die 1.000-Mark-Scheine präpariert. Seiten 3 und 10