■ Störzeile
: Geld im Hirn

In Selbstlob suhlt sich der deutsche Presserat. So brav und artig hatten die Medien dicht gehalten während der Entführung – wenngleich ein Chef-Redakteur durch die Polizei fast nicht daran zu hindern war, für ein paar mehr verkaufte Exemplare über eine Leiche zu gehen.

Seit Samstag morgen ist mensch nun der Wahrheit wieder näher. Wehe, wenn sie losgelassen – auf Einschaltquoten und Auflagenhöhen: Die sogenannten Witwen-Schüttler, die mit dem Blumenstrauß in der Hand und dem Fuß in der Tür irgendwelchen Angehörigen oder beteiligten Polizisten Informationen oder Fotos abschwatzen.

Da sind die ersten Seiten einer Boulevard-Zeitung gefüttert mit den angeblich „großen Fehlern“ der Täter, die beispielsweise an den mißglückten Geldübergaben schuld seien – entnommen den Verlautbarungen der polizeilichen Ermittler, deren Aufgabe in erster Linie nicht in der Aufklärung der Öffentlichkeit, sondern in der des Falls und der fahnderischen Desinformation der Täter liegt. Blättert man um, finden sich im Widerspruch dazu im selben Blatt polizeiunabhängige Recherchen, die die vermasselten Übergaben eher zu Lasten des Rechtsanwalts und zum Teil auch der Fahnder verbuchen.

An Dreistigkeit wieder uneinholbar ist die Bild-„Zeitung“, die ihrem Publikum unverfroren schwarz auf weißmachen will, sie habe mit dem Entführungsopfer gesprochen. Das hat sie sicher nicht, dafür aber hat sie offenbar eine große Fangemeinde unter Hamburgs Polizisten, die zudem einem gewissen Scheckbuch-Journalismus nicht abgeneigt sind (die niedrigen Gehälter!).

Was sagt uns das, daß nun auch noch ein kleiner, hochangesehener Schweizer Verlag aus makabrem Anlaß Reemtsmas Editionen anpreist? Der Geist denkt, das Geld lenkt.

Julia Kossmann