: Tränen, Eier, Eisen
Meister Ajax Amsterdam spielte nach 62 Jahren zum letzten Mal in seinem alten Stadion ■ Aus Amsterdam Falk Madeja
Middenweg 401 in Amsterdam, so lautete 62 Jahre lang eine der besten Adressen des europäischen Fußballs. Ajax Amsterdam spielte dort seit 1934 im für 50.000 Gulden gebauten Stadion De Meer: 858 Spiele in der Meisterschaft, 76 im Pokal und 17 im Europacup. Zehntausende jubelten, fluchten, klatschten, lachten, weinten hier, die Bälle zirkulierten in atemberaubender Geschwindigkeit und auf unnachahmliche Ajax-Weise von links nach rechts, von rechts nach links, und landeten meist mindestens einmal und oft mehrmals im Tor. Das ist nun Vergangenheit. Die Zeit des kleinen, längst nicht mehr ganz so feinen Stadions mit seinen knapp 20.000 Plätzen ist abgelaufen. Am Sonntag trat Ajax mit dem 5:1 gegen Willem II Tilburg ab von der Bühne De Meer, in den nächsten Monaten wird der kleine Fußball- Tempel genau wie das Olympisch- Stadion abgerissen.
Die Rituale der Ajax-Fans wurden im Laufe der Jahre unergründlich: Sie bedenken Schiedsrichter und Gegner mit Sprechchören wie „Nazi raus“ und schwenken neben den weiß-rot-weißen Ajax-Fahnen die Flagge Israels. Ajax gilt in Holland als jüdischer Verein, was historisch, laut Bobby Harms, geboren gegenüber dem Stadion, später Spieler und seit Anfang der 70er Assistenztrainer, historisch nicht gedeckt ist.
Die Zukunft der Stadion-Areale ist banal – es werden dort Wohnungen gebaut. Ajax zieht in die 50.000 Zuschauer fassende Amsterdam Arena, das modernste Stadion Europas, um. Die Arena hat 244,5 Millionen Gulden gekostet und ist bereits für zwei Jahre ausverkauft. Die legendäre Jugendschule, die Direktor Co Adriaanse aus zwei zum Büro umgebauten Containern dirigierte, bekommt ebenfalls eine völlig neue Anlage.
Was bleibt von der Legende De Meer? Nach Ablauf des Spieles, das vorzeitig die erneute Meisterschaft brachte, konnte der Verein verhindern, daß das Stadion sofort auseinander genommen wird. Rasen, Netze und viele andere Utensilien werden stückweise an die Fans verkauft. Kostenlos sind dagegen die Geschichten rund um die legendären Namen wie Cruyff – natürlich in der Nachbarschaft geboren – Michels, Tahamata, Bergkamp, Neeskens, Koeman, Rijkaard, Seedorf, van Basten und Keizer.
Bobby Harms, der wohl am längsten amtierende Assistenz- Trainer einer europäischen Spitzenmannschaft, hat alles mitgemacht: Würfe mit Hunderten von Eiern auf den PSV Eindhoven- Torhüter Hans van Breukelen (der „Terreinknecht“, zu deutsch Platzwart, sammelte – sparsam, sparsam – die noch heilen Eier auf und führte sie der finalen Wiederverwertung zu); 1948 ein 1:5 gegen eine indische Mannschaft, die barfuß spielte; 1984 der höchste Sieg im Europacup mit 14:0 gegen die Red Boys Differdingen, 1972 in der Meisterschaft ein 12:1 gegen Vitesse Arnheim, und auch die bitteren Spiele wie 1980 die höchste Niederlage mit 3:6 gegen Maastricht oder das Match am 28. 9. 1989. Ein Fan warf im Duell gegen Austria Wien eine Eisenstange auf das Feld, der Schiedsrichter brach das Spiel sofort ab und Ajax war nach dem Ausschluß aus dem Europapokal in den kommenden Jahren fast bankrott.
Louis van Gaal, ebenfalls in Sichtweite des Stadions geboren und als Spieler an Cruyff nicht vorbeigekommen, steht für die Wiederauferstehung von Ajax in den 90er Jahren. Seine Entdeckungen Davids und Reiziger werden in der kommenden Saison beim AC Mailand spielen. Nun hofft man, daß wie in den vergangenen Jahren der Abgang aus der Jugend kompensiert werden kann. Ausgerechnet mit einem Freundschaftsspiel gegen den AC Mailand wird Ajax im August die neue Amsterdam Arena einweihen. Ein wunderschönes Stadion, das den Fußball- Tempel De Meer aber, so scheint es, kaum ersetzen kann. Immerhin werden die auf dem Tribünendach stehenden Buchstaben des Wortes „Ajax“ mitgenommen.
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