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Wie Robert Havemann seinen Arbeitsplatz verlor

■ Der Ausschluß Havemanns 1966 aus der Akademie der Wissenschaften der DDR

Am 1. April 1966 erfuhr Robert Havemann aus dem Radio, daß ihn einen Tag zuvor das Präsidium der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW) als Korrespondierendes Mitglied ausgeschlossen hatte. Eine Woche später überbrachte ihm der Briefträger die offizielle Mitteilung der Akademieleitung. Darin hieß es, daß Havemanns Mitgliedschaft dem Akademiestatut widersprechen würde. Tatsächlich war Havemanns Ausschluß statutenwidrig, weil nicht die nötigen 75 Prozent aller Akademiemitglieder dafür gestimmt hatten. Statt dessen hatten sich 17 Prozent ihrer Stimme enthalten und 13 Prozent gegen den Ausschluß gestimmt.

Die Leitung der DAW handelte, wie ein kürzlich erschienenes Buch belegt, entsprechend den Vorgaben der SED-Führung, war jedoch mehr als nur eine Befehlsempfängerin. Einige Mitglieder hatten sich „ideen- und facettenreich“ an dem Szenario, das zu Havemanns Ausschluß führte, beteiligt. Der Wissenschaftler sollte aus dem öffentlichen Leben der DDR eleminiert und mundtot gemacht werden.

Am bedrohlichsten für die Kommunisten waren immer jene Kritiker, die aus den eigenen Reihen kamen. Havemann war ein solcher. 1943 verurteilten ihn die Nazis zum Tode. Nur weil der Naturwissenschaftler „kriegswichtige Forschung“ betrieb, überlebte er. Jetzt paßte es nur zu gut, daß dem Antifaschisten Havemann mit dem Präsidenten der DAW, Werner Hartke, ein ehemaliger Nationalsozialist gegenüberstand. Es war kein Einzelfall in der DDR, daß ein Täter von vor 1945 auch zum Täter nach 1945, daß ein Opfer der Nazis auch ein Opfer der Kommunisten wurde.

Robert Havemann war bis zum 20. Parteitag der KPdSU 1956 ein der Partei sehr ergebener Verfechter kommunistischer Doktrien. Die Enthüllungen Chruschtschows auf dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 riefen in weiten Teilen der kommunistischen Welt tiefe Verunsicherung hervor. In Polen und Ungarn kam es zu revolutionären Erhebungen. Auch in der DDR waren erhebliche Spannungen gerade unter der „sozialistischen Intelligenz“ unübersehbar. Man probte den Aufstand. Das Ziel war dabei nicht die Überwindung des kommunistischen Systems, sondern die Einführung „demokratischer Elemente“ unter Beibehaltung des Führungsanspruches der SED.

Robert Havemann entwickelte sich in dieser Zeit zu einem der vielen SED-internen Kritiker und wurde gleichzeitig „Geheimer Informator“ (GM) des MfS (bis 1963), ein Widerspruch, den viele Kommunisten niemals als einen solchen erkannten.

Im Gegensatz zu den meisten parteiinternen Kritikern gelangte Havemann allerdings zu der Ansicht, daß ein „demokratischer Sozialismus“ ohne die Herstellung von Öffentlichkeit nicht verwirklicht werden könnte. Seine legendäre Vorlesungsreihe an der Humboldt-Universität, die letztmals 1963/64 stattfand, war der sichtbarste Ausdruck dieser Entwicklung. Hier kritisierte der Marxist Havemann die politischen Verhältnisse in der DDR und die Bevormundung der Wissenschaft durch die Partei. Und die Studenten kamen in Scharen.

Die Folgen waren systemlogisch: Ausschluß aus der SED, fristlose Entlassung als Professor der Humboldt-Universität, schließlich 1966 die Streichung als korrespondierendes Mitglied der Ostberliner Akademie sowie Berufsverbot. Von da an wurde er vom MfS ununterbrochen überwacht und ausgespitzelt. Trotzdem gelang es ihm 1976, einen Protestbrief gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns an den Spiegel zu schicken. Daraufhin wurde Havemann vom Gericht unter Hausarrest gestellt, seine Forschungsbibliothek beschlagnahmt. Diese Repression wird seit Januar vor dem Langericht Frankfurt/Oder verhandelt. Bis zu seinem Tod 1982 hatte die Stasi 300 Aktenbände über die „Operation Leitz“ angelegt.

Robert Havemann zählte neben seinem Freund Wolf Biermann zu den Inspiratoren der ostdeutschen Oppositionsbewegung. In den letzten Jahren sind eine Reihe neuer Publikationen über ihn erschienen sowie die meisten seiner Schriften neu herausgegeben worden. Im Prenzlauer Berg bildeten nach der Revolution von 1989 Bürgerrechtler die „Robert-Havemann-Gesellschaft“, die mittlerweile eine eigene Schriftenreihe herausgibt. Dieses wichtige Unternehmen ist der Aufarbeitung der Oppositions- und Emanzipationsbewegung in der DDR gewidmet.

Der Band 1, die Entlassung Havemanns aus der DAW, hellt nicht nur die konkreten Umstände auf, sondern bietet zudem Einblick in die Gesellschafts- und Wissenschaftspolitik der SED in der ersten Hälfte der 60er Jahre. Außerdem zeigt es die Verstrickung des größten Teils der prominenten Wissenschaftler in das SED-System und macht zugleich deutlich, daß man trotz dieses Systems Zivilcourage, Aufrichtigkeit und moralische Anständigkeit bewahren konnte. Es gab in der Akademie Wissenschaftler, treue SED-Mitglieder, die sich gegen die Anmaßungen der Partei- und Akademieführung vorsichtig auflehnten, sich nicht mißbrauchen ließen oder sich sogar offen für Robert Havemann einsetzten. Freilich war diese Gruppe äußerst klein.

Der besondere Wert des Bandes besteht in der Wiedergabe von 157 Dokumenten. Die Herausgeber haben umfangreiche Unterlagen verschiedener Archive ausgewertet und chronologisch geordnet, so daß alle LeserInnen – zuweilen sogar unterhaltsam – den Ausschlußprozeß aus der Akademie nachvollziehen können. Den ungeübten LeserInnen solcherart Dokumentenliteratur wird der Zugang dadurch erleichtert, daß den Archivalien jeweils eine knappe Einleitung der Herausgeber vorangestellt wurde. Alle in der Dokumentation vorkommenden Personen werden mit Kurzbiographien in einem Personenregister vorgestellt. Es ist diesem Band eine große Verbreitung zu wünschen. Es ist ein authentischer Beitrag zur Geschichte der SED-Diktatur. Ilko-Sascha Kowalczuk

Silvia Müller / Bernd Florath (Hrsg.): Die Entlassung. Robert Havemann und die Akademie der Wissenschaften 1965/66. Eine Dokumentation (=Schriftenreihe des Robert-Havemann-Archivs, Schliemannstr. 23, 10437 Berlin). Berlin 1996, 455 S., 29,80 DM

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