Finstere Zeiten für das „Licht des Tages“

■ In Tadschikistan gehört die Verfolgung von Journalisten zum Alltag. Seit 1992 ließen 41 ihr Leben. Kritische Zeitungen werden mittlerweile im Exil produziert

Berlin (taz) – Der Fernsehjournalist Viktor Nikulin hat seinen letzten Auftrag nicht überlebt. Anfang April wurde der Korrespondent des Öffentlichen Russischen Fernsehens (ORT) in Tadschikistans Hauptstadt Duschanbe erschossen. Seine Kollegen erklärten die Tage vom 5. bis 12. April zur „Gedenkwoche“. Keine Zeitung des Landes erschien in dieser Zeit, auch alle ausländischen Korrespondenten schickten drei Tage keinen Bericht nach Hause.

Die mittelasiatische GUS-Republik ist ein heißes Pflaster für Journalisten, Aus- wie Inländer. Das New Yorker „Committee to Protect Journalists“ (CPJ) erklärte das Land 1994 gar zum weltweit gefährlichsten Ort für diese Berufssparte. Seit Beginn des Bürgerkriegs im Mai 1992 waren mindestens 27 Reporter ums Leben gekommen. Der in Moskau ansässige Fonds zum Schutz von Glasnost zählt Nikulin als bereits 41stes Opfer. Unter den Getöteten war Ende letzten Jahres der Chef des persischen Dienstes der BBC (Tadschikisch ist eine Variante des Persischen). Die meisten Opfer aber sind Tadschiken, die nicht im Sinne der Regierung über den Bürgerkrieg berichteten oder oppositionellen Gruppen nahestanden.

Die Moskauer Nesawisimaja Gaseta (NG) veröffentlichte am 5. April eine Protesterklärung der Kollegen Nikulins. Sie beklagen vor allem, „daß noch keine einzige Ermittlung über den Tod eines Mitarbeiters der Massenmedien in Tadschikistan zum Abschluß geführt wurde“. Dabei liegen dem Glasnost-Fonds wie dem CPJ zahlreiche Hinweise vor, daß viele Mordfälle auf das Konto der „Volksfront“ gehen, einer paramilitärischen Truppe, die 1992 den Bürgerkrieg für die Regierung in Duschanbe entschied.

Die beiden wichtigsten Zeitungen, die das Regime nicht kontrollierte, mußten wegen des Terrors aufgeben. Nawide Wachsch (Wachscher Neuigkeiten), die der islamischen Opposition nahestand, schloß nach dem Mord an mehreren Mitarbeitern ganz. Die seit März 1991 in Duschanbe erscheinende unabhängige Tscharoghi Rus (Licht des Tages) wich Ende 1992 nach ihrem Verbot nach Moskau aus. Von dort aus wird sie nach Tadschikistan hineingeschmuggelt, wo sie unter Lebensgefahr von Hand zu Hand weitergereicht wird. Finanziert wird das nur noch unregelmäßig erscheinende Blatt vom Nationalen Fonds zur Unterstützung der Demokratie in den USA, von tadschikischen Exilunternehmern und von Privatpersonen in Rußland.

Aber auch in Moskau ist die Redaktion um den Gründer und Chefredakteur Dododschon Atowullo nicht mehr sicher. Die Führung in Duschanbe schickte ihr wegen „versuchten Umsturzes der Sowjetmacht“ eine Kollektivanklage ins Exil hinterher. Im vergangenen Oktober wurden auf dieser Grundlage zwei Journalisten, Abdukajum Kajumow und Mirzo Salimow, im Auftrag des Innenministeriums in Duschanbe von der Moskauer Miliz verhaftet. Sie kamen erst nach der Intervention internationaler Menschenrechtsorganisationen wieder frei.

Unterweltler jagen Journalisten in Moskau

Atowullo berichtete im Dezember der NG, er sei gewarnt worden, äußerst vorsichtig zu sein, da „aus Duschanbe eine bekannte Person der tadschikischen Unterwelt in Moskau eingetroffen sei“, um ihn „aus dem Weg zu räumen“.

Weil die Zeitung auch die Aktivitäten der Opposition nicht kritiklos begleitet, ist sie auch Druck von dieser Seite ausgesetzt. Der nahm in letzter Zeit so zu, daß die Redaktion die russische Hauptstadt verlassen will. Vielleicht gehe man in eine der baltischen Republiken, so Atowullo, vorausgesetzt dort erhielte man politisches Asyl und minimale Sicherheitsgarantien.

In anderen GUS-Staaten wäre Tscharoghi Rus jedenfalls ebenfalls nicht sicher. Anfang April nämlich vereinbarten die Geheimdienstchefs der zwölf Mitgliedstaaten in Duschanbe eine engere Kooperation, unter anderem im Kampf gegen den „Terrorismus“. Was sie darunter auch verstehen, machte Tadschikistans Präsident Imomali Rahmonow klar. Sein Land, erklärte er vor den KGB- Nachfolgern, habe „mit dem Massenphänomen des Terrorismus zu kämpfen“ und der sei „auf dem Boden des politischen Widerstandes gediehen“. Daß Beschlüssen auch Taten folgen, bekamen zwei Exilpolitiker aus Aserbaidschan zu spüren. Sie wurden in Moskau auf Anfrage aus Baku festgenommen, einer wurde ausgeliefert. Finstere Zeiten für kritische Stimmen wie Atowullo und das „Licht des Tages“. Thomas Ruttig