: Der Völkermordoberst ist tief gefallen
Fortschritt bei der Bestrafung des Völkermordes in Ruanda: Zwölf flüchtige Haupttäter schmoren in Kameruner Auslieferungshaft. Aber ob sie je vor Gericht kommen, ist nicht sicher ■ Von François Misser
Brüssel (taz) – Manchmal sprechen Namen für sich. Auf deutsch heißt das ruandische Wort „Bagosora“: Durchleuchten oder Aussondern. Das paßt haargenau auf Oberst Théoneste Bagosora, ehemaliger Stabschef von Ruanda. Er gilt als ein Drahtzieher des Völkermords von 1994, bei dem gezielt Hunderttausende Angehörige der Tutsi-Minderheit und gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Der 55jährige wartet heute in einem Kameruner Gefängnis auf seine Auslieferung.
Sein Lebenslauf könnte konventioneller nicht sein: Kirchliche Schule, Militärausbildung, belgische und französische Militärakademie, dann Kommandeur des Militärlagers Kanombe bei Ruandas Hauptstadt Kigali und Stabschef im Verteidigungsministerium, wo er auch nach seiner Pensionierung 1992 weiterarbeitete.
Der belgische Ruanda-Experte, Filip Reyntjens, berichtet, daß Bagosora am 4. April 1994 senegalesischen Offizieren der UNO- Truppe in Ruanda auf einem Empfang erklärte, alle Tutsi gehörten umgebracht. Zwei Tage später, als das Flugzeug von Präsident Juvenal Habyarimana bei Kigali abgeschossen wurde, spielte Bagosora eine führende Rolle bei der Bildung eines militärischen Krisenkomitees. Dieses Komitee gründete dann die Übergangsregierung, die über Rundfunk zum Massenmord aufrief. Am 7. April besuchte Bagosora Soldaten in der Kaserne von Kigali, kurz bevor diese die ruandische Premierministerin Agathe Uwilingiyimana zusammen mit zehn belgischen Blauhelmsoldaten töteten. Wegen dieses Vorfalls stellte Belgiens Justiz im Mai 1995 einen internationalen Haftbefehl gegen Bagosora aus.
Natürlich sieht Bagosoras belgischer Anwalt, Luc De Temmerman, das alles anders. Bagosora war schließlich ein „Offizier a.D.“, sagt er, und die Soldaten in der Kaserne von Kigali seien außer Kontrolle gewesen. Zur eigenen Verteidigung verteilte Bagosora im vergangenen Oktober in Kameruns Hauptstadt Jaunde ein „Memorandum“, in dem er sich als Angehöriger einer „christlichen Hutu-Familie“ präsentiert.
Am 11. März 1996 wurde der Oberst in Jaunde verhaftet. Zuvor hatte Belgien Kamerun ein Auslieferungsgesuch überstellt. Nur gibt es zwischen Belgien und Kamerun kein Auslieferungsabkommen. Ruanda, das Bagosora ebenfalls gern vor Gericht stellen würde, bekam ihn auch nicht, weil Kamerun auch mit Ruanda kein Auslieferungsabkommen hat.
Prozeß in Belgien würde Bagosora das Leben retten
Der einzige, der dennoch eine Auslieferung anordnen könnte, ist Kameruns Präsident Paul Biya. Die Entscheidung, ob Bagosora nach Belgien oder nach Ruanda soll, kommt einem Urteil über Leben und Tod gleich: In Ruanda müßte Bagosora mit der Todesstrafe rechnen – in Belgien gibt es keine Todesstrafe, und das belgische Gesetz verbietet die Auslieferung von Beschuldigten in Länder, wo es sie gibt. Belgien würde somit Bagosora das Leben retten.
Bleibt die Möglichkeit, Bagosora an das internationale Ruanda- Völkermordtribunal zu überstellen. Aber bisher beschäftigt sich das Tribunal vor allem mit den „kleinen Tätern“, um sich von dort zu den „Großen“ hochzuarbeiten.
Während Bagosora in Kamerun schmort, schwelen Gerüchte. Warum wurde der Oberst überhaupt festgnommen? Kamerun wurde nach dem Völkermord zu einem bevorzugten Asylort für flüchtige Verantwortliche des alten ruandischen Regimes. Kameruns Präsident Biya war eng mit Habyarimana befreundet. Der frühere UN-Sonderbeauftragte für Ruanda, Jacques Roger Booh- Booh, war Kameruner und Verehrer Habyarimanas. Bagosora kam im Juli 1995 zu seinem jüngeren Bruder nach Kamerun und durfte im Oktober sein „Memorandum“ ungestört in ausländischen Botschaften herumreichen.
Weder er noch der ebenfalls in Kamerun weilende Ferdinand Nahimana, Leiter des Hetzradios „Radio-Television des Mille Collines“, wurden jemals von den Behörden befragt. Mehrere ruandische Hutu-Extremisten fanden in Kamerun Arbeit bei privaten Sicherheitsfirmen, die von der Opposition als Milizen der Regierungspartei RDPC denunziert werden und in den Straßen Jaundes Übungen abhalten – wie früher die Hutu-Milizen in Kigali.
Aber jetzt sitzt nicht nur Bagosora hinter Schloß und Riegel. Achtzehn Tage nach seiner Festnahme wanderten elf weitere prominente Ruander ins Gefängnis, darunter Nahimana und der Chef der extremistischen Hutu-Partei CDR, Jean-Bosco Barayagwiza.
Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Bagosora, sagt ein kamerunischer Beobachter, war ein Vertrauter des kamerunischen Geheimdienstchefs Jean Fochivé, dem er Tips in Sachen Aufstandsbekämpfung gab. Doch nachdem die regierende RDPC im Februar 1996 wider eigenes Erwarten die Kommunalwahlen verlor, wurde Fochivé entlassen, und Bagosora hatte keinen Gönner mehr. Ein ruandischer Minister verweist ferner darauf, daß das nächste Gipfeltreffen der „Organisation für Afrikanische Einheit“ (OAU) im Juli in Kamerun stattfindet. Biya will dabei unbedingt zum nächsten OAU-Präsidenten gewählt werden. Da macht es sich nicht gut, Massenmörder zu beherbergen.
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