Südafrikas Spagat

■ Gewerkschaften blasen wegen Verfassungsstreit zum Generalstreik

Johannesburg (taz) – Zum zweiten Mal, seitdem Nelson Mandela die Regierung übernommen hat, soll heute in Südafrika ein landesweiter Generalstreik stattfinden. Mit ausdrücklicher Unterstützung des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und des Präsidenten ruft der Gewerkschaftsdachverband Cosatu seine Mitglieder dazu auf. Anlaß des Streiks sind die Verhandlungen über die neue Verfassung, die demnächst verabschiedet wird. Dort sollen nach dem Willen der Nationalen Partei, die Südafrika während der Apartheid regierte, sowohl das Recht auf Streik als auch das auf Aussperrung festgeschrieben werden. Ersteres ist nicht umstritten, die Aussperrungsklausel zählt hingegen zu den Punkten, um die seit Wochen erbittert gefeilscht wird.

Doch der eigentliche Konflikt berührt die Frage, wie der ANC als Regierung zu den Gewerkschaften als altem politischen Bündnisparter steht. Bereits Anfang letzter Woche hatte Cosatu wegen der Aussperrungsklausel zum Streik aufgerufen und sich zu keinem Zugeständnis bereit gezeigt. Und noch Ende letzter Woche erklärte Cosatu-Generalsekretär Sam Shilowa, selbst wenn eine Einigung zustande käme, bleibe es beim Generalstreik. Der ANC übt unterdessen den politischen Spagat. Am Freitag erklärte Mandela, der Streik genieße die volle Unterstützung des ANC und sei keinesfalls rückgängig zu machen. Am Wochenende traf er sich jedoch mit Vizepräsident F.W. de Klerk von der Nationalen Partei und Vertretern der Arbeitgeber und Gewerkschaften hinter verschlossenen Türen in Pretoria, um eine Annäherung in den strittigen Verfassungsfragen zu erzielen.

Dazu zählen neben der Aussperrung die sogenannte Eigentumsklausel, die regeln soll, unter welchen Bedingungen der Staat Grund und Boden enteignen darf. Strittig war auch noch, ob das Recht auf getrenntsprachliche Erziehung in der Verfassung festgeschrieben werden soll. Außer in der Eigentumsklausel wurden offenbar in allen Fragen Kompromisse erzielt, deren Details aber gestern noch nicht bekannt waren. Doch es war klar, daß der ANC einer modifizierten Formulierung bei der Aussperrung zugestimmt hat.

Die südafrikanische Wirtschaft indessen kritisiert den Streik als Rückfall in alte Konfrontationsmuster, der Verluste in Millionenhöhe verursache und ausländische Investoren abschrecke. Dahinter verbirgt sich auch Nervosität über den Fall des südafrikanischen Rand gegenüber dem US-Dollar während der vergangenen Wochen. Erstmals werden das in dieser Woche auch die Verbraucher zu spüren bekommen, denn die Leitzinsen werden erhöht, und der Benzinpreis wird am 1. Mai drastisch ansteigen. Kordula Doerfler