Aufenthaltsverbot als zusätzlicher Kitzel

■ Polizeirechtsexperten: Neues Gesetz ist rechtswidrig, aber auch unwirksam

Hannover (taz) – Das polizeiliche Aufenthaltsverbot für ganze Städte, das Niedersachsen als erstes Bundesland einführen will, ist nach Auffassung namhafter Juristen klar verfassungswidrig. Die Gesetzesänderung, die der niedersächsische Landtag in der zweiten Maiwoche endgültig beschließen soll, verfehlt außerdem ihren Zweck. Bei dem für August in Hannover geplanten Punker-Treffen wird das Aufenthaltsverbot nur noch für mehr Chaos sorgen. Diese Auffassung vertraten gestern in Hannover zumindest die Experten, die die Landtagsgrünen zu einer Anhörung über die anstehende Gesetzesänderung geladen hatten. Einen klaren Widerspruch zwischen dem Aufenthaltsverbot und dem Grundrecht auf Freizügigkeit sah gestern der Polizeirechtsexperte Professor Ulrich Stephan, der an der Polizeihochschule Villingen-Schwenningen lehrt. Das Grundrecht auf Freizügigkeit dürfe zum Schutze hochwertiger Rechtsgüter eingeschränkt werden. Niedersachsen wolle jedoch das Aufenthaltsverbot allein zur Verhütung von Straftaten verhängen. Die Verhütung von Straftaten sei jedoch kein hochwertiges Schutzgut im Sinne von Artikel 11 des Grundgesetzes und rechtfertige daher die Einschränkung der Freizügigkeit der Bürger nicht.

Stephan bezeichnete außerdem die Aufenthaltsverbotsregelung als unvereinbar mit dem Verfassungsgebot der Bestimmtheit: Eine Befristung der Aufenthaltsverbote sei im Gesetz nicht vorgesehen. Da das Verbot schon verhängt werden könne, wenn die Polizei die Gefahr von Straftaten annehme, könne es später auch Stadtstreicher oder etwa Ladendiebe treffen.

Professor Jürgen Seifert aus Hannover zweifelte gestern vor allem an der Wirksamkeit der neuen Regelung. Für die Punker, die für Anfang August die nächsten Chaostage in Hannover planen, sei die Gesetzesänderung eine „Herausforderung“. Gerade diese Jugendlichen hätten Spaß daran, Verbotenes erst recht zu tun, sagte der ehemalige Vorsitzende der humanistischen Union. Das Aufenthaltsverbot verschaffe den Punkern nur einen zusätzlichen Kitzel. Ähnlich wies gestern die Grünen-Abgeordnete Silke Stokar darauf hin, daß in zahlreichen Punk-Flugblättern und Szene-Zeitschriften mit der geplanten Gesetzesänderung bereits für die nächsten Chaostage geworben wird. Jürgen Voges