Fassbinder bei MTV Schöner filmen mit H&M Fassbinder meets MTV

■ Erstaufführung mit modischen Accessoires: Fassbinders „Nur eine Scheibe Brot“ im Concordia

Die beste Rolle hatte diesmal der Ausstatter. Er durfte sich mit den schönen Sommerfarben von H&M beschäftigen. Und konnte außerdem zehn Eisdielen-Stühlchen mit Glittereffekt auf die Concordia-Bühne stellen. Allein die Kostümsuche für die Schauspieler muß die wahre Wonne gewesen sein: orangefarbenes Minikleid, Lackmantel und weiße Halbstiefelchen für Hanna. Die Nappalederjacke im Hemdblusenstil ist für ihren Freund, den Filmregisseur Hans Fricke und Alter Ego von Rainer Werner Fassbinder. So trendy wie bei der Premiere von Fassbinders „Nur eine Scheibe Brot“ im Concordia schauen sonst nur die Helden bei MTV in die Kamera.

Diese modische Attitüde schwingt in der ganzen Inszenierung mit. So wie man sich in Ausstattungsfragen sklavisch an die Entstehungszeit des Stückes hält, so klebt Karsten Schifflers Regie auch an den Worten des Autors. Der Effekt: ein historisch korrekter, aber harmloser Fassbinder.

Rainer Werner Fassbinder schrieb mit 21 Jahren sein Stück über einen Regisseur, der einen Spielfilm über Auschwitz dreht. Heute, 30 Jahre später, konzentrierte sich in Bremen alle Aufmerksamkeit auf die deutsche Erstaufführung des Erstlingswerks des 1982 verstorbenen Regisseurs. Doch nach 75 Minuten fragt man sich, ob Fassbinder nicht vielleicht ganz gut daran getan hat, das Stück in der Versenkung des mütterlichen Küchenschranks zu lassen.

Denn an vielen Stellen scheint der Text überarbeitungsbedürftig und zeigt kaum die Brillanz, für die der Filmemacher steht. Wo bleibt der kalte Schauer des Kleinfamilien-Terrors, der einem regelmäßig entgegenschlug, wenn Fassbinder sein Grundthema von der Ausbeutbarkeit der Beziehungen wieder aufnahm?

In „Nur eine Scheibe Brot“ begegnet einem neben den Dreharbeiten zum Auschwitz-Spielfilm auch eine Nachkriegs-Abrechnung am Eßtisch, in der der aufmüpfige Jungregisseur den Onkel fragt: „Wie alt warst Du 45?“ Und die Antwort bleibt genau bei dem „Wir-wußten-von-nichts“ stecken, das wir schon 100mal gehört haben. Auch Fassbinders Charakterisierung der Liebesbeziehung zwischen Hanna und Hans gerät äußerst dürftig, wenn man den Regieanweisungen Folge leistet: Parallel zum Liebesgewühl, das die große Bettdecke wogen läßt, werden im Hintergrund Bilder aus dem KZ an eine Projektionsfläche geworfen und dazu tönen noch aus dem Off vom Tonband die Bedenken des Jung-Regisseurs.

Doch das sind schon die absoluten Tiefpunkte in Fassbinders, aus 11 Szenen bestehendem Stück, dem Karsten Schiffler mit etwas mehr Mut zum Weglassen wahrscheinlich einen sehr viel größeren Dienst erweisen würde als durch das wortgetreue Festhalten an des Meisters Regieanweisungen.

Schließlich läßt Fassbinder sogar Selbstironie ahnen, wenn er auf das eigene Medium zu sprechen kommt. Sein Filmregisseur Hans Fricke outet sich konsequent als nörgelnder Egozentriker, dessen Selbstzweifel an der Arbeit alle Klischees über den spätpubertierenden Künstler erfüllen. Und dessen Revolte verpufft, als der kalkulierte Erfolg ihn auf das Treppchen katapultiert. Wahrhaft komische Momente gelingen, wenn der Regisseur seinen Darsteller des polnischen Juden nach seinem Verhältnis zur Rolle befragt. Die Antwort des gerade entdeckten Schauspielers, den hier Heiko Senst mit einer verblüffenden Mischung aus Demut und jugendlichen Naivität spielt, bündelt alles, was Sie immer schon über das Innenleben eines Schauspielers wissen wollten: „Ja, Ja - ich konzentriere mich dann ganz auf die Situation meiner Figur und überlege mir, was für ein Typ das überhaupt ist ... und dann denke ich einfach, jetzt bin ich nicht mehr ich, jetzt bin ich der andere ... Aber irgendwo weiß ich dann doch immmer noch, daß ich ich bin und daß es den anderen nicht wirklich gibt, ich meine, das ist ein ziemlich schwieriger Vorgang.“

Erst hier gewinnt Fassbinders Stück die Schärfe, die später so typisch für ihn ist. Da gibt auch Dirk Plönissen als Produzent endlich die realistische Spielweise auf. Stattdessen überzeichnet er brutal In der letzten kurzen Szene setzt er dem Stück noch eine Spitze des „The show must go on“ auf, die man sich schon eher gewünscht hätte. Da segelt er als großspuriger Produzent des KZ-Spielfilms die Treppe aus dem Kino-Saal herunter, als sei die Oscar-Preisverleihung in Gange, bei der gerade Spielbergs „Schindlers List“ ausgezeichnet wird: „Wir haben den Film im Oktober fertiggestellt, er konnte noch kurz vor Weihnachten gestartet werden. Der Verleih hat ihn ganz richtig als schockierendes und erbarmungsloses Schicksal im Banne dunkler Mächte gestartet. Der Film bekam das Prädikat „Besonders Wertvoll“ und drei Bundesfilmpreise. Auch Sie werden gepackt und mitgerissen sein.“ Susanne Raubold

Weitere Vorstellungen: 5., 12., 15., 19., 23. und 25. Mai um 20 Uhr im Concordia