Die Uni-Revolte läßt auf sich warten

■ Mehrere tausend StudentInnen beteiligten sich an den Aktionstagen der Universitäten. Ein Dozent und drei Studenten wurden festgenommen. An der TU wollen mehrere Fachbereiche streiken. Weitere Happening

Auf den Stufen zum Dom balancieren 30 TheologInnen hebräische Bibeln, Notizblöcke und Lehrbücher auf den Knien. Sie hängen an den Lippen von Professor Peter Welten, der seine Vorlesung über Urgeschichte heute mit dem Schöpfungsbericht in Genesis 1 fortsetzt: Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.

Die Aktionswoche der Humboldt-Universität (HU) wurde am Dienstag erfolgreich fortgesetzt. Über vierzig Vorlesungen und Seminare fanden wie geplant in U-Bahnhöfen, auf Plätzen und Treppenstufen statt. Einige Professoren verlegten ihre Veranstaltungen spontan ins Freie.

Das Proseminar „Bundestag und BVG“ vor dem Roten Rathaus in Mitte mußte kurzfristig unterbrochen werden, weil Polizisten den Dozenten vorübergehend festnahmen. Der Vorwurf: Die Veranstaltung sei nicht angemeldet worden.

Eine Studentin referierte im Lustgarten konzentrierten ZuhörerInnen „Das Leben der schwedischen Gräfin von G.“ von Christian Fürchtegott Gellert. Anschließend diskutierten die KulturwissenschaftlerInnen über das Thema „Sinnlichkeit im 18. Jahrhundert“.

Die Mehrzahl der Studierenden wolle keine Ausfälle in ihrem Studium, beschreibt Joscha Bach, Student der Informatik und Vertreter der HU-Pressestelle, die Stimmung unter den Studierenden. Die Situation sei folglich nicht „revolutionär“. Darum gebe es bislang nur Aktionstage und auch noch keinen Streik. Die Professoren stünden hinter den Studierenden, die Seminare würden anerkannt.

Die Humboldt-Universität nehme unter den Universitäten Berlins bei den Protestaktionen gegen die Einsparungen eine „Vorreiterrolle“ ein, so Hans Bernhard, im 6. Semester Stadtplanung an der Technischen Universität (TU). Dort versammelten sich am Dienstag weit mehr als 1.000 StudentInnen zu einer Uni-Vollversammlung im Audimax. Neun von 15 Fachbereichen an der TU votierten für einen Streik. Außerdem beschloß die Versammlung, in Schulen zu gehen und „die Schüler zu mobilisieren“.

Mobil machten sich die StudentInnen im Anschluß an die Versammlung vom Dienstag ersteinmal selber: Sie zogen gemeinsam zum Hardenbergplatz in Charlottenburg. Dabei wurde ein Student „unter dem Vorwurf der Anstiftung zur Nötigung“ sowie zwei weitere Studierende wegen „versuchter Gefangenenbefreiung“ vorübergehend von der Polizei festgenommen. 500 StudentInnen blockierten daraufhin für drei Stunden den Hardenbergplatz, um die Freilassung ihrer Kommilitonen zu erreichen.

Auch die Vollversammlung der Freien Universität sprach sich am Dienstag einhellig für eine „uniweite Aktionswoche bei vollständigem Lehrveranstaltungsboykott“ aus. Über einen unbefristeten Streik soll dort in der nächsten Woche abgestimmt werden.

„Wir sehen die Aktionen nicht isoliert“, betont Joscha Bach von der HU. Ihm stünde noch sehr eindrücklich das Bild von zwei Bettlerinnen vor Augen, die den Zug „gutgekleideter Studenten“ bei der großen Demonstration in der vergangenen Woche gekreuzt hätten. Er habe die Vision von einer „lebenswerten Gesellschaft“. Dazu sei gute Bildung eine Voraussetzung: „Es geht darum, der Gesellschaft zu zeigen, daß wir uns als Teil von ihr begreifen“. Bildungspolitik sei nur ein Aspekt des „sozialen Kahlschlags“. Dabei seien die Gelder durchaus da, sie müßten nur anders verteilt werden.

Der HU-Aktionsrat, der schon seit November vergangenen Jahres besteht, hatte am vergangenen Wochenende zu einem „Offenen StudentInnenkongreß“ eingeladen. Dort berieten Arbeitsgruppen nicht nur über mögliche Streik- und Aktionsformen, sondern diskutierten auch über zukünftige Bildungskonzepte. Joscha Bach räumt allerdings ein, daß es an konkreten Visionen und Alternativen mangele. Im Moment verliefe vieles noch „etwas chaotisch“. Gerade ein „gewisses Chaos“ hält hingegen Hans Bernhard von der TU für konstruktiv. Es sei viel zu schwer, eine wirklich konzertierte Aktion von Studierenden durchzuführen. Da hielte er es für sinnvoller, daß sich augenblicklich kleinere Gruppen zusammenfänden. Das werde, so seine Hoffnung, vorerst für die notwendige Öffentlichkeit sorgen. Stephanie v. Oppen