Sie ißt! Sie trinkt! Sie lebt!

Cannes erwartet Sharon Stone, ein seltsames Mädchen aus Pennsylvania – Porträt einer Lady  ■ Von Mariam Niroumand

In „Stardust Memories“ gibt es einen Augenblick, da fährt der Zug des Regisseurs Sandy Bates zur Hölle, und er wirft einen letzten Blick aus dem Fenster. Drüben fährt ein Zug in die andere Richtung, in dem gefeiert und gelacht wird. Ein strahlend blondes Starlett in weißer Federboa drückt einen roten Kuß für Sandy auf die Scheibe. Er will zu ihr, aber zu spät. Das glückliche Leben, das da herübergrüßte, war schneller verschwunden, als man „Basic Instinct“ sagen kann.

Woody Allen hatte für diese Szene jemanden gesucht, dessen Bild funktioniert wie amerikanische Fernsehwerbung; es formiert sich nicht zur Erinnerung, sondern bleibt Impuls. Gequälter jüdischer Intellektueller sieht für einen wehen Moment, was sich auftut, wenn die andern feiern, ein WASP- Glück der edlen Einfalt, das dem, der weiß, auf immer verschlossen bleiben wird.

Sharon Stone war Woody Allen unter Hunderten von Mädchen aufgefallen, die per Inserat für diese Fantasyfigur in eine New Yorker Highschool-Cafeteria bestellt worden waren. Stone sollte Weiß tragen und las in der Wartezeit ein Kinderbuch, in dem Sechsjährigen die Unendlichkeit erklärt wird. Darüber geriet sie mit Allen in ein Gespräch, das sie heute in Interviews als „höchst seltsam“ bezeichnet. Genaugenommen war die Lage nämlich damals umgekehrt: Während Woody Allen nach seinem Erfolg mit „Annie Hall“ allenthalben gefeiert wurde, war Sharon Stone ein 22jähriges Model, das aus der Mailänder Modeszene vor dem Kokain und dem einsamen Hotelzimmerplüsch geflohen war. Wahrscheinlich wußte sie ziemlich genau, daß es noch mindestens zehn Jahre dauern würde, bevor sie da sein könnte, wo der melancholische Mr. Allen schon 1980 war und wo die Party wirklich spielte. Was er ihr wohl damals in der Drehpause über Unendlichkeit erzählt hat?

Für eine Werkzeugmacherstochter aus Meadville, Pennsylvania, (sogar die Lokalpatrioten nennen es „Mudville“ wegen des vielen Regens) muß sie ein ziemlich seltsames Mädchen gewesen sein. Den Unterhaltungsteil ihrer Vorstellung im Schönheitswettbewerb „Miss Crawford Country“ bestritt sie mit einer Rezitation der Gettysburg-Rede Abraham Lincolns, im Badeanzug. Ein pensionierter Augenarzt (!) übte mit ihr, weil ihre Vorstellung so ungerührt blieb, malte ihr die Schrecken des Bürgerkriegs in den knalligsten Farben aus, forderte mehr Nachdruck. Sie soll eifrig genickt und dann aber gefragt haben: „Soll ich mir was Glänzendes ins Haar tun?“

Wenig später in Philadelphia, beim nächsthöheren Schönheitswettbewerb, notierte sie in ihr Tagebuch, wie faszinierend es sei, Rolltreppen und Aufzüge zu benutzen. In Manhattan dann, als die Modelagentur Eileen Ford (immerhin die Erfinder von Cindy Crawford oder Elle McPherson) sie angeheuert hatte, ging sie wegen ihres Farmgirl-Specks zu einem echten Quacksalber. Sie bekam täglich Spritzen, von denen sie nachher erzählte, sie seien aus „Schafembryos und dem Urin schwangerer Frauen gemacht gewesen“, und jedenfalls habe sie nicht mehr laufen können, habe hämmernde Kopfschmerzen gehabt, am ganzen Körper gezittert, und ihre Freunde hätten sie zu einem Arzt tragen müssen. Schafembryos und schwangere Frauen – das Erstaunliche an der jungen Ms. Stone war wohl, daß sie ihre Vergangenheit als Blue-collar-Landei auch zur Schadensbegrenzung einzusetzen wußte: „Manche von den Mädchen, mit denen ich damals von New York nach Paris, Tokio, London oder Johannesburg jettete, sind heute tot. Die späten siebziger und frühen achtziger Jahre waren reichlich dekadent, wilder Sex, nächtelange Parties, rohes Kokain. Ich ging zwar mit in die Clubs, trank aber nur Mineralwasser. Ich betrachtete es als eine Art Gymnastik.“

Dekadenz als Sozialtraining – kein Wunder, daß Woody Allen sie heute gern noch einmal beschäftigen würde. Zuerst landete sie allerdings bei Schlockmeister Wes Craven („Nightmare on Elm Street“) und dessen Horrorfilm über eine Sekte in Pennsylvania, in dem Stone eben das mörderisch kokainsüchtige Model spielt, das sie gerade kennengelernt hatte. Als sie den heimatlichen Akzent endgültig los war und einige Kurse in „Method-Acting“ hinter sich gebracht hatte (Sehen Sie Sharon Stone beim Method-Acting?), brach sie nach Hollywood auf.

Gewisse Ähnlichkeit mit – Bruce Willis!

„Carol Lombard, Clark Gable, Ginger Rogers, Fred Astaire – so habe ich es mir vorgestellt“, erzählte sie dem New Yorker, der vor der letzten Oscar-Verleihung ein begeistertes Porträt von ihr veröffentlichte, das offensichtlich in der festen Überzeugung geschrieben war, sie würde für ihre Rolle als die Absteigerin Ginger in Martin Scorseses „Casino“ endlich bekommen, worauf sie so lange gewartet hat.

Gewisse Ähnlichkeiten im Auftreten mit – sagen wir – Ginger Rogers oder Lauren Bacall – oder eher Bruce Willis?! –, ein gewisser proletarischer Witz, gepaart mit der Arbeitsethik von Vaters Bester – das könnte ihr wohl aus dem „Bimbo“-Fach des doofen Blondchens herausgeholfen haben. Der Weg war weit und führte durch allerhand „Police Academies“, zweitklassige Fernsehserien (aber auch „War and Rememberance“), Produzentenbetten und einen Actionfilm in Afrika („King Solomons Mines“). Jahrelang hatte sie wegen dieses Karriereverlaufs so schlechte Laune, daß zum Beispiel die Kollegen auf dem Set in Simbabwe ihr in den Badezuber pinkelten – noch heute gilt sie als heikel. Auch wenn sie Arnold Schwarzenegger nicht besonders mochte, konzidiert sie doch, von ihm während der Dreharbeiten zu „Total Recall“ etwas über das eigene Produktmanagement gelernt zu haben. Tatsächlich gleichen sich ihre Karrieren irgendwie: Körperpräsentation und Artistik, eine Stammtisch-Fangemeinde sind der Anfang, ein eigenes Produktionsimperium das Ziel. Ihr jetziger Manager Tim Healy beschreibt sie gern als handfest und zupackend: „Sie lebt! Sie ißt! Sie trinkt! Sie macht was! Nicht wie diese anderen Schönheiten, die ein bißchen hiervon nehmen und ein bißchen davon. Sie sagt: Tu's auf den Tisch, laß es uns essen.“

Wegen ihrer in jahrelanger Plackerei feingeschliffenen Form des Produktmanagements für den Markenartikel „Sharon Stone“ wird sie oft mit Madonna verglichen. Auch wenn Stone definitiv nicht über annähernd so viele Ressourcen verfügt, der Sprung von der Trash-Queen zu „Casino“ war ein ähnlicher wie Madonnas Klimmzug von „Dick Tracy“ zu „Snake Eyes“: Beide Male beeilten sich E-Kunst-Regisseure – Martin Scorsese und Abel Ferrara –, eine B-Movie-Göttin zu demontieren. Abstiegskarrieren in Koks und Whiskey sollen Charakter verleihen, wo vorher Glanz war; eine ziemlich kleinkarierte Vorstellung, wenn man es genau bedenkt. Trotzdem hat es funktioniert: Für die Ginger bekam sie – zwar nicht den Oscar – aber doch den Golden Globe, und es hat ihr ziemlich die Sprache verschlagen. „Wo ich herkomme“, stotterte sie ein paar Tage später, „da zieht man sich bei so was nett an und sagt: Danke!“

Nächste Woche wird sie in Cannes erwartet, zur Präsentation des amerikanischen Remakes des Clouzot-Films „Les Diaboliques“, in dem sie – jawohl – die Rolle von Simone Signoret an der Seite von Isabelle Adjani spielt. In Cannes freuen sie sich schon. Immerhin hatte sie, als sie 1994 in der Jury saß, auf einer Soirée dem Millionär, der ihr großspurig zehntausend Dollar für ihre Unterwäsche angeboten hatte, entgegnet: „Jeder, der Siebenfuffzig übrig hat, weiß, daß ich keine trage.“ Vergeßt „Basic Instinct“, vergeßt „Sliver“! Wir dürfen hier noch nichts über „Les Diaboliques“ verraten, aber man kann getrost sagen, daß kein Sakrileg daraus geworden ist: Sharon Stone ist der Signoret absolut gewachsen, was Gewitztheit, Souveränität und kettenrauchende Lebensklugheit angeht – und das mit gutem Grund.