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Die Krauts kommen

■ Im World Wide Web herrschen noch immer kalifornische Sitten. Aber jetzt wollen die Deutschen mitreden - kritisch

Deutsche, so scheint es, sind im Internet fast so peinlich wie Deutsche im Ausland. Zwar ist in den letzten Monaten jedes deutsche Unternehmen, das etwas auf sich hält, ins Netz gegangen, zwar schmücken sich Anzeigen immer häufiger mit World-Wide-Web- Adressen. Doch diese Homepages sehen aus, als hätte jemand vom Vorstand im Focus über „Datenautobahnen“ gelesen und dann seine Sekretärin beauftragt, eine Web-Präsenz einzurichten. „Deutsche Homepages sind noch schlechter als ihr Ruf“, beschweren sich darum Surfer in aller Welt.

Noch werden die Weiten des Netzes überwiegend von Amerikanern besiedelt. Aller Fama zum Trotz, wonach das Internet ein Länder- und Kulturgrenzen überschreitendes Arkadien sei, werden die technischen Standards, die Software-Normen und die Netz- Sitten in den USA definiert. Der Rest der Welt schaut zu.

Aber langsam wagen sich auch die Deutschen in den Cyberspace. Die Tagung „Ars Digitalis“ (http:// www.ars-digitalis.de) an der Berliner Hochschule der Künste (HdK) sollte eigentlich nur eine große Computerkunst-Ausstellung vorbereiten, die im Oktober anläßlich des 300. Geburtstags der HdK stattfindet. Sie bewies, daß hierzulande die Goldgräberstimmung der Netz-Gründerzeit angebrochen ist, die in Amerika gerade abebbt. Während die Netz-Prawda Wired schon den Tod des Web prophezeit, gehen in Deutschland immer mehr WWW-Projekte ans Netz.

Anders als in den Vernetzten Staaten kann freilich von einer digitalen Klasse mit eigenen Codes und Umgangsformen noch nicht gesprochen werden. Die deutschen Netizens, die Oliver Schwarz und Jeannot Simmen an die HdK eingeladen hatten, kamen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und Szenen. Und die Offline-Kommunikation fiel ihnen noch sichtlich schwer.

Da sind zum Beispiel die Künstler, die im Internet immaterielle Werke geschaffen haben. Gleich mehrere Reisetagebücher wurden vorgestellt: Kathy Rae Huffman lud ihre Impressionen aus Sibirien noch während ihrer Reise ins Netz, Felix S. Huber, Philip Pocock und Christoph Keller ließen die Netzwelt wissen, wie es ihnen auf ihren Fahrten zum Nordpol und zum Äquator erging (http://www.icf/ tcancer und http://www.thing.or.at/ ~circle). Die Berliner Künstlerin Daniela Plewe läßt den Computer frei assoziieren. Ihr „Museris Service“ sei ein „Programm zum Tagträumen“, sagt sie: Man gibt zwei Worte und eine „Gedankenrichtung“ ein. Das System generiert daraus einen (Unsinns-)Satz (http://domini.zkm.de/mser.html). Erik Hobjin von der holländischen Künstlergruppe Netband (http:// www.desk.nl/~netband) denkt an eine neue Form der Concept Art: Netzkunst, die nur in den Köpfen der Künstler existiert. Ausführlich beschrieb Hobijn das Projekt eines Eis im Internet, an dessen Ausbrüten sich die Netz-Community (inter)aktiv beteiligen soll. Erst bei genauem Nachfragen stellte sich heraus, daß dieses Projekt in nächster Zeit wohl kaum realisiert werden dürfte, obwohl Hobjin mit seiner Idee schon mehrere Festivals für Medienkunst bereist hat.

Finanzieren müssen die Künstler ihre Online-Werke meist aus der eigenen Tasche. Daniela Plewe hat erkannt, daß derzeit bloß die Deutsche Telekom Geld mit Netzkunst verdient. Auch die Kölner Künstlerin Eva Grubinger konstatierte, daß sie mit ihren Internet- Werken „Computer Aided Curating“ (http://www.is.in-berlin.de/ CAC/CAC_hall.html) und „Netzbikini“ (http://www.thing.or.at/ thing/netzbikini) nicht nur nichts verdient hat – auch das „kulturelle Kapital“, das sie sonst mit unbezahlter Arbeit anhäufen kann, blieb ihr versagt. Darum macht sie inzwischen Brettspiele.

Dabei verdienen in Deutschland kleine, junge Multimedia- Agenturen durchaus Geld mit dem Internet. Weil deutsche High- Tech-Unternehmen zur Zeit vorwiegend damit beschäftigt sind, möglichst viele Leute rauszuschmeißen, haben sie auf dem Internet-Markt den Anschluß verloren. Amerikanischen Tochterunternehmen und jungen Schnellstartern bleibt es überlassen, sich mit dem neuen Medium zu befassen. Die Berliner Multimedia- Agenturen wie „Pixelpark“ (http:// www.pixelpark.com), „Enorm“ (http://www.enorm.com), „Terratools“ (http://www.terratools.de) und „Die Moniteurs“ (http:// www.techno.de) arbeiten für diesen in Deutschland noch mittelständischen Markt. Geführt werden sie meist von jungenhaften Computer-Nerds, die sich in der Kunsthochschule so hilflos durch ihre Präsentation stotterten, als wollten sie mit ihrem Vortrag einen Proseminarschein erwerben.

Immerhin sind dabei auch die Politiker aufgewacht. Nicht mehr alle halten – wie Helmut Kohl – das Schlagwort „Information-Highway“ für einen Begriff aus den Verkehrsmeldungen. MdB Thomas Krüger (SPD) und der brandenburgische Wissenschaftsminister Stefan Reiche repräsentierten auf der „Ars Digitalis“ den seltenen Typus des Politikers, der weiß, was ein Browser und was eine Newsgroup ist. Krüger, Mitglied der Bundestags-Enquêtekommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft“, hat gelernt, daß das Netz der Netze durch nationale Politik nicht zu bändigen ist. Er empfiehlt, auf gesetzliche Regulierungen „soweit wie möglich“ zu verzichten. Statt dessen möchte Krüger die Telekom dazu verpflichten, Schulen und öffentliche Bibliotheken umsonst mit Internet-Anschlüssen zu versorgen. Der „universelle Zugang“ zum Netz müsse für alle Bürger möglich sein, fordert Krüger.

Daß Erfahrung mit dem Internet noch nicht unbedingt bedeutet, dem Medium angemessene Angebote zu machen, zeigte indessen die Präsentation von „Brandenburg Online“ (http://www.brandenburg.de). Mathias Artzt vom Wissenschaftsministerium in Potsdam wies zwar voller Stolz darauf hin, daß sein Haus das erste Landesministerium mit eigener Homepage war. Doch deren Konzept stieß auf harsche Kritik: Als „digitale Litfaßsäule“ wurde die Site bespöttelt, die über die brandenburgische Verwaltung und andere Sehenswürdigkeiten des Landes informieren will. Für Marleen Stikker, ehemalige Bürgermeisterin der Digitalen Stadt Amsterdam (http://www.dds.nl), steht ohnehin fest, daß „Digitale Communities“ nicht von der Regierung vorgeschrieben werden können. Sie müssen von ihren Nutzern mitgestaltet werden. Da half es auch nicht, daß sowohl Steffen Reiche wie Mathias Artzt immer wieder den ominösen Online-Arbeitslosen beschworen, der über das Internet Arbeitslosengeld beantragt und Verwaltungskosten spart.

Ganz am Ende, wie es sich gehört, kommt auch die philosophische Diskussion über das Internet hierzulande allmählich in Gang. Bis vor kurzem habe es in Deutschland jenseits von kulturpessimistischen Warnungen vor der unüberschaubaren Datenflut keinen intellektuellen Diskurs über das Netz gegeben, stellte der Netzexperte Pit Schulz fest. In den USA würden dagegen Internet-Gurus unreflektierte Netz-Euphorie verbreiten. Dieser „kalifornischen Ideologie“ möchte Schulz eine europäische „Netzkritik“ gegenüberstellen, die sich skeptisch mit den neuen Cybermythen auseinandersetzt.

Daß die Arbeit am PC tatsächlich kein „künstliches Paradies“ ist, bewies Stefan Münker: Sein Vortrag über das Internet als „potentiell vollständigem Wissensspeicher“ brach mitten im Gedankengang ab, weil dem Berliner Philosophen beim Schreiben des Manuskripts der Computer abgestürzt war. Tilman Baumgärtel

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